Klein Zaches, genannt Zinnober | Page 2

E.T.A. Hoffmann
in der Nähe stand. Da brach sie nun aus in
laute Klagen: "Muß," jammerte sie, "muß mich und meinen armen
Mann allein denn alle Not und alles Elend treffen? Sind wir denn nicht
im ganzen Dorfe die einzigen, die aller Arbeit, alles sauer vergessenen
Schweißes ungeachtet in steter Armut bleiben und kaum so viel
erwerben, um unsern Hunger zu stillen? - Vor drei Jahren, als mein
Mann beim Umgraben unseres Gartens die Goldstücke in der Erde fand,
ja, da glaubten wir, das Glück sei endlich eingekehrt bei uns und nun
kämen die guten Tage; aber was geschah! - Diebe stahlen das Geld,
Haus und Scheune brannten uns über dem Kopfe weg, das Getreide auf
dem Acker zerschlug der Hagel, und um das Maß unseres Herzeleids
vollzumachen bis über den Rand, strafte uns der Himmel noch mit
diesem kleinen Wechselbalg, den ich zu Schand' und Spott des ganzen
Dorfs gebar. - Zu St.-Laurenztag ist nun der Junge drittehalb Jahre

gewesen und kann auf seinen Spinnenbeinchen nicht stehen, nicht
gehen und knurrt und miaut, statt zu reden, wie eine Katze. Und dabei
frißt die unselige Mißgeburt wie der stärkste Knabe von wenigstens
acht Jahren, ohne daß es ihm im mindesten was anschlägt. Gott
erbarme sich über ihn und über uns, daß wir den Jungen großfüttern
müssen uns selbst zur Qual und größerer Not; denn essen und trinken
immer mehr und mehr wird der kleine Däumling wohl, aber arbeiten
sein Lebetage nicht! Nein, nein, das ist mehr als ein Mensch aushalten
kann auf dieser Erde! - Ach könnt' ich nur sterben - nur sterben!" Und
damit fing die Arme an zu weinen und zu schluchzen, bis sie endlich,
vom Schmerz übermannt, ganz entkräftet einschlief. -
Mit Recht konnte das Weib über den abscheulichen Wechselbalg
klagen, den sie vor drittehalb Jahren geboren. Das, was man auf den
ersten Blick sehr gut für ein seltsam verknorpeltes Stückchen Holz
hätte ansehen können, war nämlich ein kaum zwei Spannen hoher,
mißgestalteter Junge, der von dem Korbe, wo er querüber gelegen,
heruntergekrochen, sich jetzt knurrend im Grase wälzte. Der Kopf stak
dem Dinge tief zwischen den Schultern, die Stelle des Rückens vertrat
ein kürbisähnlicher Auswuchs, und gleich unter der Brust hingen die
haselgertdünnen Beinchen herab, daß der Junge aussah wie ein
gespalteter Rettich. Vom Gesicht konnte ein stumpfes Auge nicht viel
entdecken, schärfer hinblickend, wurde man aber wohl die lange spitze
Nase, die aus schwarzen struppigen Haaren hervorstarrte, und ein Paar
kleine, schwarz funkelnde Äuglein gewahr, die, zumal bei den übrigens
ganz alten, eingefurchten Zügen des Gesichts, ein klein Alräunchen
kundzutun schienen. -
Als nun, wie gesagt, das Weib über ihren Gram in tiefen Schlaf
gesunken war und ihr Söhnlein sich dicht an sie herangewälzt hatte,
begab es sich, daß das Fräulein von Rosenschön, Dame des
nahegelegenen Stifts, von einem Spaziergange heimkehrend, des
Weges daherwandelte. Sie blieb stehen und wurde, da sie von Natur
fromm und mitleidig, bei dem Anblick des Elends, der sich ihr darbot,
sehr gerührt. "O du gerechter Himmel," fing sie an, "wieviel Jammer
und Not gibt es doch auf dieser Erde! - Das unglückliche Weib! - Ich
weiß, daß sie kaum das liebe Leben hat, da arbeitet sie über ihre Kräfte

und ist vor Hunger und Kummer hingesunken! - Wie fühle ich jetzt erst
recht empfindlich meine Armut und Ohnmacht! Ach, könnt' ich doch
nur helfen, wie ich wollte! - Doch das, was mir noch übrig blieb, die
wenigen Gaben, die das feindselige Verhängnis mir nicht zu rauben,
nicht zu zerstören vermochte, die mir noch zu Gebote stehen, die will
ich kräftig und getreu nützen, um dem Leidwesen zu steuern. Geld,
hätte ich auch darüber zu gebieten, würde dir gar nichts helfen, arme
Frau, sondern deinen Zustand vielleicht noch gar verschlimmern. Dir
und deinem Mann, euch beiden ist nun einmal Reichtum nicht beschert,
und wem Reichtum nicht beschert ist, dem verschwinden die
Goldstücke aus der Tasche, er weiß selbst nicht wie, er hat davon nichts
als großen Verdruß und wird, je mehr Geld ihm zuströmt, nur desto
ärmer. Aber ich weiß es, mehr als alle Armut, als alle Not, nagt an
deinem Herzen, daß du jenes kleine Untierchen gebarst, das sich wie
eine böse unheimliche Last an dich hängt, die du durch das Leben
tragen mußt. - Groß - schön - stark - verständig, ja, das alles kann der
Junge nun einmal nicht werden, aber es ist ihm vielleicht noch auf
andere Weise zu helfen." - Damit setzte sich das Fräulein nieder ins
Gras und nahm den Kleinen auf den Schoß. Das böse Alräunchen
sträubte und spreizte sich, knurrte und wollte das Fräulein in den Finger
beißen, die sprach aber: "Ruhig, ruhig, kleiner Maikäfer!" und strich
leise und linde mit der flachen Hand ihm über den Kopf von der Stirn
herüber bis in den Nacken. Allmählich glättete sich während des
Streichelns das struppige Haar des Kleinen
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