Kampagne in Frankreich | Page 3

Johann Wolfgang von Goethe
war ein gro?er, mit Kutschen und Reisewagen aller Art ��berladener Wiesenraum. Sie waren mit Frau und Liebchen, Kindern und Verwandten zu gleicher Zeit einger��ckt, als wenn sie den innern Widerspruch ihres gegenw?rtigen Zustandes recht wollten zur Schau tragen.
Da ich einige Stunden hier unter freiem Himmel auf Postpferde warten musste, konnt' ich noch eine andere Bemerkung machen. Ich sa? vor dem Fenster des Posthauses, unfern von der Stelle, wo das K?stchen stand, in dessen Einschnitt man die unfrankierten Briefe zu werfen pflegt. Einen ?hnlichen Zudrang hab' ich nie gesehen: zu Hunderten wurden sie in die Ritze gesenkt. Das grenzenlose Bestreben, wie man mit Leib, Seel' und Geist in sein Vaterland durch die L��cke des durchbrochenen Dammes wieder einzustr?men begehre, war nicht lebhafter und aufdringlicher vorzubilden.
Vor Langeweile und aus Lust, Geheimnisse zu entwickeln oder zu supplieren, dacht' ich mir, was in dieser Briefmenge wohl enthalten sein m?chte? Da glaubt' ich denn eine Liebende zu sp��ren, die mit Leidenschaft und Schmerz die Qual des Entbehrens in solcher Trennung heftigst ausdr��ckte; einen Freund, der von dem Freund in der ?u?ersten Not einiges Geld verlangte; ausgetriebene Frauen mit Kindern und Dienstanhang, deren Kasse bis auf wenige Geldst��cke zusammengeschmolzen war; feurige Anh?nger der Prinzen, die, das Beste hoffend, sich einander Lust und Mut zusprachen; andere, die schon das Unheil in der Ferne witterten und sich ��ber den bevorstehenden Verlust ihrer G��ter jammervoll beschwerten -- und ich denke, nicht ungeschickt geraten zu haben.
��ber manches kl?rte der Postmeister mich auf, der, um meine Ungeduld nach Pferden zu beschwichtigen, mich vors?tzlich zu unterhalten suchte. Er zeigte mir verschiedene Briefe mit Stempeln aus entfernten Gegenden, die nun den Vorger��ckten und Vorr��ckenden nachirren sollten. Frankreich sei an allen seinen Grenzen mit solchen Ungl��cklichen umlagert, von Antwerpen bis Nizza; dagegen st��nden ebenso die franz?sischen Heere zur Verteidigung und zum Ausfall bereit. Er sagte manches Bedenkliche; ihm schien der Zustand der Dinge wenigstens sehr zweifelhaft.
Da ich mich nicht so w��tend erwies wie andere, die nach Frankreich hineinst��rmten, hielt er mich blad f��r einen Republikaner und zeigte mehr Vertrauen; er lie? mich die Unbilden bedenken, welche die Preu?en von Wetter und Weg ��ber Koblenz und Trier erlitten, und machte eine schauderhafte Beschreibung, wie ich das Lager in der Gegend von Longwy finden w��rde; von allem war er gut unterrichtet und schien nicht abgeneigt, andere zu unterrichten. Zuletzt suchte er mich aufmerksam zu machen, wie die Preu?en beim Einmarsch ruhige und schuldlose D?rfer gepl��ndert, es sei nun durch die Truppen geschehen oder durch Packknechte und Nachz��gler; zum Schein habe man's bestraft, aber die Menschen im Innersten gegen sich aufgebracht.
Da musste mir denn jener General des Drei?igj?hrigen Kriegs einfallen, welcher, als man sich ��ber das feindselige Betragen seiner Truppen in Freundesland h?chlich beschwerte, die Antwort gab: "Ich kann meine Armee nicht im Sack transportieren," ��berhaupt aber konnte ich bemerken, dass unser R��cken nicht sehr gesichert sei.
Longwy, dessen Eroberung mir schon unterwegs triumphierend verk��ndigt war, lie? ich auf meiner Fahrt rechts in einiger Ferne und gelangte den 27. August nachmittags gegen das Lager von Praucourt. Auf einer Fl?che geschlagen, war es zu ��bersehen, aber dort anzulangen nicht ohne Schwierigkeit. Ein feuchter, aufgew��hlter Boden war Pferden und Wagen hinderlich; daneben fiel es auf, dass man weder Wachen noch Posten noch irgendjemand antraf, der sich nach den P?ssen erkundigt und bei dem man dagegen wieder einige Erkundigung h?tte einziehen k?nnen. Wir fuhren durch eine Zeltw��ste, denn alles hatte sich verkrochen, um vor dem schrecklichen Wetter k��mmerlichen Schutz zu finden. Nur mit M��he erforschten wir von einigen die Gegend, wo wir das herzoglich weimarische Regiment finden k?nnten, erreichten endlich die Stelle, sahen bekannte Gesichter und wurden von Leidensgenossen gar freundlich aufgenommen. K?mmerier Wagner und sein schwarzer Pudel waren die ersten Begr��?enden; beide erkannten einen vielj?hrigen Lebensgesellen, der abermals eine bedenkliche Epoche mit durchk?mpfen sollte. Zugleich erfuhr ich einen unangenehmen Vorfall: des F��rsten Leibpferd, der Amaranth, war gestern nach einem gr?sslichen Schrei niedergest��rzt und tot geblieben.
Nun musste ich von der Situation des Lagers noch viel Schlimmeres gewahren und vernehmen, als der Postmeister mir vorausgesagt. Man denke sich's auf einer Ebene am Fu? eines sanft aufsteigenden H��gels, an welchem ein von alters her gezogener Graben Wasser von Feldern und Wiesen abhalten sollte; dieser aber wurde so schnell als m?glich Beh?lter alles Unrats, aller Abw��rflinge: der Abzug stockte, gewaltige Regeng��sse durchbrachen nachts den Damm und f��hrten das widerw?rtigeste Unheil unter die Zelte. Da ward nun, was die Fleischer an Eingeweiden, Knochen und sonst beiseite geschafft, in die ohnehin feuchten und ?ngstlichen Schlafstellen getragen.
Mir sollte gleichfalls ein zelt einger?umt werden, ich zog aber vor, mich des Tags ��ber bei Freunden und Bekannten aufzuhalten und nachts in dem gro?en Schlafwagen der Ruhe zu pflegen, dessen Bequemlichkeit von fr��heren Zeiten her mir schon bekannt war. Seltsam musste man es jedoch finden, wie er, obgleich nur etwa drei?ig Schritte von den Zelten entfernt, doch dergestalt unzug?nglich bleib,
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