Im Schatten der Titanen | Page 2

Lily Braun
da? ich Dein Versprechen hinnehme, Dich und Deine Augen, Deine Zeit und Deine Gedanken nicht damit zu qu?len, sondern sie nur als leichte Besch?ftigung und Anregung zu betrachten. Ich habe, wie Du wei?t, viel verbrannt, so als Braut vier B?nde Tageb��cher und sp?ter viele Kisten voll oft recht interessanter Briefe, auch die von Scheidler, meinem Hausphilosophen, wie er sich nannte. Die Briefe an ihn lie? ich nach seinem Tode von seiner Tochter verbrennen, ebenso bat ich Holtei und manche andere meiner Korrespondenten darum; ich bedaure es auch nicht: man liest kaum mehr die sch?nsten klassischen Werke, wie wird man alte, vergilbte, schwierige Handschriften lesen! Was ��brig blieb, ��berlasse ich Dir, mein geliebtes Enkelkind, ganz und gar, Du darfst mit alledem thun und lassen, was Du willst, ich bin damit, wie mit Allem im Leben, au?er mit meiner fast krankhaften Mutterliebe und mit meinem immer mehr reifenden Christenthum vollst?ndig fertig, bin sehr unproductiv, und nur manchmal, wenn die Anregung von au?en kommt, schreibe ich Erinnerungen nieder, die Du sp?ter auch haben sollst. Mein Bestes an Gedanken und Gef��hlen legte und lege ich in Briefen nieder. Die meisten anderen Sachen haben eine Geschichte: Entwicklung, Kl?rung, unn��tze oder gut ausgenutzte Leiden, von Anderen angeregte Ueberschw?nglichkeiten, von innen verarbeitete Irrth��mer. Die Aufs?tze aus Wilhelmsthal hatten pers?nliche Beziehungen und geh?ren in die Kategorie getrockneter, gepre?ter Blumen mit leisem Duft und matter Farbe. Die vier franz?sisch geschriebenen Charakterbilder waren die Fortsetzung fr��herer, ebenfalls dem Feuertode geweihter, die unter Goethes Augen entstanden waren und ihn interessierten. Die Art Novelle 'Gr?fin Thara' ist mein letztes Geschreibsel; sie hat mich, mit langen Unterbrechungen, oft angenehm besch?ftigt und sollte eigentlich nur eine Art Einleitung, ein Faden sein, an den ich Erfahrungen und Ansichten reihen wollte ...
Die Besch?ftigung mit den alten Manuskripten bildete ein neues Band zwischen uns. Ich bat oft um Erkl?rungen, die mir m��ndlich und schriftlich bereitwillig gegeben wurden, so da? nach und nach zu den alten Schriften viele neue hinzukamen, auch die Erinnerungen, die sie auf Anregung des Gro?herzogs Karl Alexander von Sachsen-Weimar, ihres treuen Freundes, noch in ihrer letzten Lebenszeit niedergeschrieben hatte.
Einst, als ich wenige Jahre vor ihrem Tode wieder einmal in ihrem stillen gr��nen Zimmer bei ihr sa?, ?ffnete sie das wohlbekannte Fach ihres Schreibtisches, das in seiner vorderen H?lfte f��r mich immer eine Fundgrube wunderbarer Dinge gewesen war: Ringe aus Haaren, Broschen mit geheimnisvoll darin verschlossenen Bildchen, Gemmen und Steine, und andere Merkw��rdigkeiten hatten zu meinem Lieblingsspielzeug geh?rt, um das sich tausend Tr?ume schlangen; an einem Miniaturbilde aber, das die Mitte eines breiten goldenen Armreifens bildete, war mein Blick stets gebannt h?ngen geblieben: einen Mann in gro?er Uniform, mit klassisch regelm??igen Z��gen und dunklen, leuchtenden Augen stellte es dar. Jerome Napoleon war es, des gro?en Kaisers Bruder, jenes Kaisers, den Gro?mutters Erz?hlungen mir immer als einen Riesen der Vorzeit hatten erscheinen lassen -- nicht als jenen bekannten Kleinkinderschreck aller guten Preu?enkinder, sondern als eine schier ��bermenschliche Gestalt, deren Machtgebot eine Welt formte und beherrschte. Aus der hinteren H?lfte des Fachs, das alle diese Wunderdinge enthielt, zog Gro?mutter ein sorgf?ltig verschn��rtes Paket hervor und gab es mir. "Bewahre es mit dem ��brigen," sagte sie, "damit es, wenn ich sterbe, nicht vernichtet wird." Es enthielt Briefe des einstigen K?nigs von Westfalen an sie, die geliebte Tochter aus seinem heimlichen Liebesbund mit einer ihm immer unverge?lichen Frau. Wohl hatte ich schon lange von Gro?mamas Herkunft reden h?ren, als Kind schon hatte man mich meines Ahnherrn wegen verh?hnt, und wenn ich an Eltern und Verwandte sch��chterne Fragen nach ihm zu richten wagte, so wurden sie rot und schalten mich; ich wu?te nie recht, ob ich stolz sein oder mich nicht vielmehr seiner sch?men sollte. Seine Briefe erst lehrten mich ihn lieben.
Als Gro?mama gestorben war und ich ihre Erinnerungen der ?ffentlichkeit ��bergeben durfte, war es selbstverst?ndlich meine Absicht, ihrer Herkunft der Wahrheit gem?? zu gedenken. Aber die engere und die weitere Familie, in deren Mitte ich lebte, entr��stete sich nicht wenig ��ber mein Vorhaben; sie sah ihre Ehre dadurch bedroht, die Stellung ihrer Mitglieder in Staat und Gesellschaft gef?hrdet. Und ich, der Bande des Bluts noch gleichbedeutend erschienen mit Banden des Geistes und Herzens, f��rchtete, sie durch Widerspruch zu zerrei?en, und gehorchte. Da? dieser Gehorsam der Familie gegen��ber durch eine L��ge vor der ?ffentlichkeit erkauft wurde, daran dachte niemand. Nur mich qu?lte sie, und in der Empfindung, da? eine Zeit kommen werde, in der ich mein Unrecht gutzumachen verm?chte, bewahrte ich sorgf?ltig die Briefe Jeromes und weigerte mich wiederholt, sie zu vernichten. Indem ich sie nunmehr der Lebensbeschreibung meiner Gro?mutter einf��ge, glaube ich ihr gegen��ber eine Pflicht zu erf��llen. Und noch mehr vielleicht bin ich ihrem Vater die Ver?ffentlichung schuldig: nicht nur, da? sie seines Blutes war, zeigt sich darin, sondern auch, da? er es wert gewesen ist, diese Tochter zu besitzen.
Sein Name hat in Deutschland keinen guten Klang: der
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