Hamlet, Prinz von Dannemark | Page 2

William Shakespeare

Bernardo.
Was sagt ihr nun, Horatio? Ihr zittert und seht bleich aus.
Ist das nicht mehr als Einbildung? Was haltet ihr davon?
Horatio.
So wahr Gott lebt, ich würde es nicht glauben, wenn ich dem
fühlbaren Zeugniß meiner eignen Augen nicht glauben müßte.
Marcellus.
Gleicht es nicht dem Könige?
Horatio.
Wie du dir selbst. So war die nemliche Rüstung die er
anhatte, als er den ehrsüchtigen Norweger schlug; so faltete er die
Augbraunen, als er in grimmigem Zweykampf den Prinzen von Pohlen
aufs Eis hinschleuderte. Es ist seltsam--
Marcellus.
So ist es schon zweymal, und in dieser nemlichen Stunde,
mit kriegerischem Schritt, bey unsrer Wache vorbey gegangen.
Horatio.
Was ich mir für einen bestimmten Begriff davon machen
soll, weiß ich nicht; aber so viel ich mir überhaupt einbilde, bedeutet es
irgend eine ausserordentliche Veränderung in unserm Staat.
Marcellus.
Nun, Freunde, sezt euch nieder, und saget mir, wer von
euch beyden es weißt, warum eine so scharfe nächtliche Wache den
Unterthanen dieser ganzen Insel geboten ist? Wozu diese Menge von
Geschüz und Kriegs-Bedürfnissen, welche täglich aus fremden Landen
anlangen? Wozu diese Gedränge von Schiffs-Bauleuten, deren rastloser
Fleiß den Sonntag nicht vom Werk-Tag unterscheidet? Was mag
bevorstehen, daß die schwizende Eilfertigkeit die Nacht zum Tage
nehmen muß, um bald genug fertig zu werden? Wer kan mir hierüber
Auskunft geben?
Horatio.
Das kan ich; wenigstens kan ich dir sagen, was man sich
davon in die Ohren flüstert. Unser verstorbner König, dessen Gestalt
uns nur eben erschienen ist, wurde, wie ihr wisset, von Fortinbras, dem

König der Norwegen, seinem Nebenbuhler um Macht und Ruhm, zum
Zweykampf herausgefodert: Unser tapfrer Hamlet (denn dafür hielt ihn
dieser Theil der bekannten Welt) erschlug seinen Gegner in diesem
Kampf, und dieser verlohr dadurch vermög eines vorher besiegelten
und nach Kriegs-Recht förmlich bekräftigten Vertrages, alle seine
Länder, als welche nun dem Sieger verfallen waren; eben so wie ein
gleichmässiger Theil von den Landen unsers Königs dem Fortinbras
und seinen Erben zugefallen seyn würde, wenn der Sieg sich für ihn
erklärt hätte. Nunmehro vernimmt man, daß sein Sohn, der junge
Fortinbras, in der gährenden Hize eines noch
ungebändigten Muthes,
hier und da, an den Küsten von Norwegen einen Hauffen heimathloser
Wage-Hälse zusammengebracht, und um Speise und Sold, zur
Ausführung irgend eines kühnen Werkes gedungen habe: Welches
dann, wie unser Hof gar wol einsieht, nichts anders ist, als die besagten
von seinem Vater verwürkten Länder uns durch Gewalt der Waffen
wieder abzunehmen: Und dieses, denke ich, ist die Ursach unsrer
Zurüstungen, dieser unsrer Wache, und dieses hastigen Gewühls im
ganzen Lande.
Bernardo.
Vermuthlich ist es keine andre; und es mag wol seyn, daß
eben darum dieses schrekliche Gespenst, in Waffen, und in der Gestalt
des Königs, der an diesen Kriegen Ursach war und ist, durch unsre
Wache geht.
Horatio.
Es ist ein Zufall, welchem es schwer ist auf den Grund zu
sehen. In dem höchsten und siegreichesten Zeit-Punkt der Römischen
Republik, kurz zuvor eh der grosse Julius fiel, thaten die Gräber sich
auf; die eingeschleyerten Todten schrien in gräßlichen ungeheuren
Tönen durch die Strassen von Rom; Sterne zogen Schweiffe von Feuer
nach sich; es fiel blutiger Thau; der allgemeine Unstern hüllte die
Sonne ein, und der feuchte Stern, unter dessen
Einflüssen das Reich
des Meer-Gottes steht, verfinsterte sich wie zum Tage des
Welt-Gerichts. Ähnliche Vorboten schrekenvoller Ereignisse,
Wunder-Zeichen, welche die gewöhnliche Vorredner bevorstehender
trauriger Auftritte sind, haben an Himmel und Erde sich vereiniget,
dieses Land in furchtsam Erwartung irgend eines allgemeinen Unglüks
zu sezen. (Der Geist tritt wieder auf.)

Aber stille, seht! Hier kommt es wieder zurük! Ich will ihm in den Weg
stehen, wenn es mir gleich alle meine Haare kosten sollte. Steh,
Blendwerk!
(Er breitet die Arme gegen den Geist aus.)
Wenn du fähig bist, einen vernehmlichen Ton von dir zu geben, so rede
mit mir. Wenn irgend etwas gutes gethan werden kan, das dir
Erleichterung und Ruhe, und mir das Verdienst eines guten Werkes
geben mag, so rede! Wenn du Wissenschaft von dem Schiksal deines
Landes hast, und es vielleicht, durch deine Vorhersagung noch
abgewendet werden könnte, o so rede!--Oder wenn du, in deinem
Leben unrechtmässig erworbene Schäze in den Mutterleib der Erde

aufgehäuft hast, um derentwillen, wie man glaubt, die Geister oft nach
dem Tode umgehen müssen, so entdek es.
(Ein Hahn kräht.)
Steh, und rede--Halt es auf, Marcellus--
Marcellus.
Soll ich mit meiner Partisane darnach schlagen?
Horatio.
Thu es, wenn es nicht stehen will.
Bernardo.
Hier ist es--
Horatio.
Izt ists hier--
Marcellus.
Weg ist's.
(Der Geist geht ab.)
Wir beleidigen die Majestätische Gestalt, die es trägt, wenn wir Mine
machen, als ob wir Gewalt dagegen brauchen wollen; und da es nichts
als Luft ist, so ist es ja ohnehin unverwundbar, und unsre eiteln
Streiche beweisen ihm nur unsern bösen Willen, ohne ihm würklich
etwas anzuhaben.

Bernardo.
Es war im Begriff zu reden, als der Hahn krähete.
Horatio.
Und da zitterte es hinweg, wie einer der sich eines
Verbrechens bewußt ist, bey einer fürchterlichen Aufforderung. Ich
habe sagen gehört,
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