Tische grabend, Und mit gewetztem 
Zahn die eigne Lippe, Als wär' es fremdes, wildes Fleisch, benagend, 
Sich's schwuren, und sie halten es gewiß. Es gilt hier eine Art von 
Gottesurteil, Der eine haut nach mir, der andre wehrt, Und Dike kann 
entscheiden, wenn sie mag. 
Rhodope. So hättest du gelauscht? Das glaub ich nicht. Wenn ich wo 
bin, wo man mich nicht erwartet, So mach ich ein Geräusch, damit 
man's merkt Und ja nicht spricht, was ich nicht hören soll, Und 
du--nein, nein, das tut ein König nicht! 
Kandaules. Gewiß nicht!--Doch, du kannst es nicht erraten! Siehst du 
den Ring? Wie teuer hältst du ihn? 
Rhodope. Ich weiß ja nicht, von wem er kommt. 
Kandaules. Von Gyges! 
Rhodope. Da wird er dir unschätzbar sein! 
Kandaules. Er ist's! Doch ahnst du nicht, warum. Vernimm's und staune, 
Unsichtbar macht er jeden, der ihn trägt. 
Rhodope. Unsichtbar? 
Kandaules. Eben hab ich's selbst erprobt. Nicht wieder klettern, Hero! 
Nur die Vögel Verstecken sich im Laube! 
Rhodope. Lesbia! 
Kandaules. Durch alle Türen schreit ich hin, mich halten Nicht Schloß 
noch Riegel fern! 
Rhodope. Wie fürchterlich. 
Kandaules. Für jeden Bösen, meinst du. 
Rhodope. Nein doch, nein! Für jeden Guten noch viel mehr! (Zu
Lesbia.) Kannst du Noch ruhig atmen, wirst du nicht in Scham 
Verglühn, nun du dies weißt? Herr, wirf ihn fort, Hinunter in den 
tiefsten Fluß! Wem mehr Als Menschenkraft beschieden ist, der wird 
Als Halbgott gleich geboren! Gib ihn mir! Man sagt bei uns, daß Dinge, 
die die Welt Zertrümmern können, hie und da auf Erden Verborgen 
sind. Sie stammen aus der Zeit, Wo Gott und Mensch noch miteinander 
gingen Und Liebespfänder tauschten. Dieser Ring Gehört dazu! Wer 
weiß, an welche Hand Ihn eine Göttin steckte, welchen Bund Er einst 
besiegeln mußte! Graust dich nicht, Dir ihre dunkle Gabe anzueignen 
Und ihre Rache auf dein Haupt zu ziehn? Mich schaudert, wenn ich ihn 
nur seh! So gib! 
Kandaules. Um einen Preis! Wenn du als Königin Beim Feste heut 
erscheinen willst. 
Rhodope. Wie kann ich! Du holtest dir von weit entlegner Grenze Die 
stille Braut, und wußtest, wie sie war. Auch hat's dich einst beglückt, 
daß vor dem deinen Nur noch das Vaterauge auf mir ruhte, Und daß 
nach dir mich keiner mehr erblickt. 
Kandaules. Vergib! Ich denke nur, der Edelstein, Den man nicht zeigt-- 
Rhodope. Lockt keine Räuber an! 
Kandaules. Genug! Ich bin ja an dies Nein gewöhnt! Bläst auch der 
frische Wind an allen Orten Die Schleier weg: Du hältst den Deinen 
fest. 
(Musik.) 
Der Zug! Da darf der König ja nicht fehlen. 
Rhodope. Und die Empörer? Heute tut's mir weh, Daß ich nicht mit dir 
gehen darf. 
Kandaules. Hab Dank! Doch ängstige dich nicht. Es ist gesorgt. 
Rhodope. 
Gewiß? 
Kandaules. Gewiß! Zwar nicht, weil ich mich fürchte, Nur, weil ich 
strafen müßte, und nicht mag. Das Leben ist zu kurz, als daß der 
Mensch Sich drin den Tod auch nur verdienen könnte, Darum verhinge 
ich ihn heut nicht gern! (Ab.) 
Rhodope. Nun geht auch ihr! 
Lesbia. Ich bleibe, Königin! 
Rhodope. Ei nein! Dir sang's die Amme nimmer vor, Daß Mannes 
Angesicht der Tod für dich!
(Lesbia, Hero und die übrigen ab.) 
Das Träumen kennt hier keine! Auch der Besten Ist Opfer, was mir 
einz'ge Freude ist! (Ab.) 
Freier Platz. 
Viel Volk. Der König auf einem Thron. Lesbia, Hero usw. an der Seite 
auf einem Balkon. Die Spiele sind eben beendigt. Allgemeine 
Bewegung und Sonderung in Gruppen. Ringer, Faustkämpfer, 
Wagenlenker usw. werden nach und nach sichtbar, alle mit Zweigen 
von der Silberpappel bekränzt. Wein wird gereicht, Musik ertönt, das 
Fest beginnt. 
Volk. Heil, Gyges, Heil! 
Kandaules (in den Hintergrund schauend). 
Im Diskuswerfen auch? Zum drittenmal? Das sollt' ich übelnehmen! Da 
kommt ja gar nichts auf die Meinigen. 
(Heruntersteigend und dem aus dem Hintergrunde kommenden Gyges, 
dem das Volk noch immer zujubelt und Platz macht, 
entgegenschreitend.) 
Bescheiden bist du, das ist wahr! Du nimmst Nicht mehr, als da ist. 
Gyges. Herr, ich kämpfte heut Als Grieche, nicht als Gyges. 
Kandaules. Um so schlimmer Für uns, wenn du die neue Regel bist! Da 
tut's ja not, die alten Drachenhäute Hervorzusuchen und sie 
auszustopfen, Die, vom Herakles her, noch irgendwo Im Winkel eines 
Tempels faulen sollen, Den Balg der Schlange mit den hundert Köpfen 
Und andres mehr, was euch erschrecken kann! Du hörst mich nicht! 
Gyges. Doch! doch! 
Kandaules. Ei nein, ich seh's, Du bist zerstreut, du schielst zu jenen 
Mädchen Hinüber, sie bemerken's auch, schau hin, Die Kleine neckt 
die Große! Du wirst rot? Pfui, schäme dich! 
Gyges. Mich dürstet, Herr! 
Kandaules. 
Dich dürstet? Das ist was andres! Wer so kämpft, wie du, Der hat das 
Recht auf einen guten Trunk, Und, wenn auch ohne Recht, ich trinke 
mit! Nun kommt der Teil des Festes, den ich liebe! 
(Winkt einem Diener.) 
Heran! 
Ein Diener (bringt einen Pokal mit Wein). 
Kandaules (gießt einige Tropfen auf die Erde).    
    
		
	
	
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