einem wilden Wald, zwischen Gelnhausen und 
Hanau, lebte ein ehrenfester bejahrter Mann, und der hieß Gockel. 
Gockel hatte ein Weib, und das hieß Hinkel. Gockel und Hinkel hatten 
ein Töchterchen, und das hieß Gackeleia. Ihre Wohnung war in einem 
wüsten Schloß, woran nichts auszusetzen war, denn es war nichts darin, 
aber viel einzusetzen, nämlich Thür und Thor und Fenster. Mit frischer 
Luft und Sonnenschein und allerlei Wetter war es wohl ausgerüstet, 
denn das Dach war eingestürzt und die Treppen und Decken und Böden 
waren nachgefolgt. Gras und Kraut und Busch und Baum wuchsen aus 
allen Winkeln, und Vögel, vom Zaunkönig bis zum Storch, nisteten in 
dem wüsten Haus. Es versuchten zwar einigemal auch Geier, Habichte, 
Weihen, Falken, Eulen, Raben und solche verdächtige Vögel sich da 
anzusiedeln, aber Gockel schlug es ihnen rund ab, wenn sie ihm gleich 
allerlei Braten und Fische als Miethe bezahlen wollten. 
Einst aber sprach sein Weib Hinkel: "mein lieber Gockel, es geht uns 
sehr knapp, warum willst du die vornehmen Vögel nicht hier wohnen 
lassen? Wir könnten die Miethe doch wohl brauchen, du läßt ja das 
ganze Schloß von allen möglichen Vögeln bewohnen, welche dir gar 
nichts dafür bezahlen."--Da antwortete Gockel: "o du unvernünftiges 
Hinkel, vergißt du denn ganz und gar, wer wir sind, schickt es sich 
auch wohl für Leute unserer Herkunft, von der Miethe solches 
Raubgesindels zu leben?--und gesetzt auch, Gott suchte uns mit 
solchem Elende heim, daß uns die Verzweiflung zu so unwürdigen 
Hilfsmitteln triebe,--was doch nie geschehen wird, denn eher wollte ich 
Hungers sterben,--womit würden die räuberischen Einwohner uns vor 
Allem die Miethe bezahlen? Gewiß würden sie uns alle unsre lieben
Gastfreunde erwürgt in die Küche werfen, und zwar auf ihre 
mörderische Art zerrupft und zerfleischt. Die freundlichen Singvögel, 
welche mit ihrem unschuldigen Gezwitscher unsre wüste Wohnung zu 
einem herzerfreuenden Aufenthalte machen, willst du doch wohl lieber 
singen hören, als sie gebraten essen? Würde dir das Herz nicht brechen, 
die allerliebste Frau Nachtigall, die trauliche Grasmücke, den 
fröhlichen Distelfink, oder gar das liebe treue Rothkehlchen in der 
Pfanne zu rösten, oder am Spieße zu braten, und dann zuletzt, wenn sie 
alle die Miethe bezahlt hätten, nichts als das Geschrei und Gekrächze 
der gräulichen Raubvögel zu hören? Aber wenn auch alles dieses zu 
überwinden wäre, bedenkst du dann in deiner Blindheit nicht, daß diese 
Mörder allein so gern hier wohnen möchten, weil sie wissen, daß wir 
uns von der Hühnerzucht nähren wollen? Haben wir nicht die ehrbare 
Stamm-Henne Gallina jetzt über dreißig Eiern sitzen, werden diese 
nicht dreißig Hühner werden, und kann nicht jedes wieder dreißig Eier 
legen, welche es wieder ausbrütet zu dreißig Hühnern, macht schon 
dreißig mal dreißig, also neunhundert Hühner, welchen wir 
entgegensehen? O du unvernünftiges Hinkel! und zu diesen willst du 
dir Geier und Habichte ins Schloß ziehen? Hast du denn gänzlich 
vergessen, daß du ein edler Sprosse aus dem hohen Stamme der Grafen 
von Hennegau bist, und kannst du solche Vorschläge einem gebornen 
leider armen, leider verkannten Raugrafen von Hanau machen? Ich 
kenne dich nicht mehr!--O du entsetzliche Armuth! ist es denn also 
wahr, daß du auch die edelsten Herzen endlich mit der Last deines 
leeren und doch so schweren Bettelsackes zum Staube nieder 
drückest?" 
Also redete der arme alte Raugraf Gockel von Hanau in edlem hohen 
Zorne, zu Hinkel von Hennegau seiner Gattin, welche so betrübt und 
beschämt und kümmerlich vor ihm stand, als ob sie den Zipf hätte. 
Aber schon sammelte sie sich und wollte so eben sprechen: "die 
Raubvögel bringen uns wohl auch manchmal junge Hasen"--doch da 
krähte der schwarze Alektryo, der große Stammhahn ihres Mannes, der 
über ihr auf einem Mauerrande saß, in demselben Augenblick so hell 
und scharf, daß er ihr das Wort wie mit einer Sichel vor dem Munde 
wegschnitt, und als er dabei mit den Flügeln schlug, und Graf Gockel 
von Hanau sein zerrissenes Mäntelchen auch ungeduldig auf der
Schulter hin und her warf, so sagte die Frau Hinkel von Hennegau auch 
kein Piepswörtchen mehr, denn sie wußte den Alektryo und den Gockel 
zu ehren. 
Sie wollte eben umwenden und weggehen, da sagte Gockel: "o Hinkel! 
ich brauche dir nichts mehr zu sagen, der ritterliche Alektryo, der 
Herold, Wappenprüfer und Kreiswärtel, Notarius Publikus und 
kaiserlich gekrönte Poet meiner Vorfahren hat meine Rede unterkrähet, 
und somit dagegen protestirt, daß seinen Nachkommen, den zu 
erwartenden Hühnchen, die gefährlichen Raubvögel zugesellt würden." 
Bei diesen letzten Worten bückte sich Frau Hinkel bereits unter der 
niedrigen Thüre und verschwand mit einem tiefen Seufzer im 
Hühnerstall. 
Im Hühnerstall? Ja--denn im wunderbaren, kunstreichen, im neben-, 
durch--und hintereinandrigen Stil der Urwelt, Mitwelt und Nachwelt 
erbauten Hühnerstall wohnten Gockel von Hanau, Hinkel von 
Hennegau und Gackeleia, ihre Fräulein Tochter, und in der Ecke stand 
in einem alten Schilde das auf gothische Weise von Stroh geflochtene 
Raugraf Gockelsche Erbhühnernest, in welchem die Glucke Gallina 
über den dreißig Eiern brütete, und von einer Wand    
    
		
	
	
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