Gladius Dei; Schwere Stunde

Thomas Mann
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Title: Gladius Dei; Schwere Stunde
Author: Thomas Mann
Release Date: April 15, 2004 [EBook #12053]
Language: German
Character set encoding: ISO-8859-1
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Thomas Mann
GLADIUS DEI
- und -
SCHWERE STUNDE

Die Texte folgen den Ausgaben:
'Gladius Dei' aus ?Tristan. Sechs Novellen.? Berlin, S. Fischer Verlag 1903
'Schwere Stunde' aus ?Das Wunderkind. Novellen.? Berlin, S. Fischer Verlag [1914] (= Fischers Bibliothek zeitgen?ssischer Romane, Jg. 6, Bd. 6)

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GLADIUS DEI
1
München leuchtete. über den festlichen Pl?tzen und wei?en S?ulentempeln, den antikisierenden Monumenten und Barockkirchen, den springenden Brunnen, Pal?sten und Gartenanlagen der Residenz spannte sich strahlend ein Himmel von blauer Seide, und ihre breiten und lichten, umgrünten und wohlberechneten Perspektiven lagen in dem Sonnendunst eines ersten, sch?nen Junitages.
Vogelgeschw?tz und heimlicher Jubel über allen Gassen. ...Und auf Pl?tzen und Zeilen rollt, wallt und summt das unüberstürzte und amüsante Treiben der sch?nen und gem?chlichen Stadt. Reisende aller Nationen kutschieren in den kleinen, langsamen Droschken umher, indem sie rechts und links in wahlloser Neugier an den W?nden der H?user hinaufschauen, und steigen die Freitreppen der Museen hinan...
Viele Fenster stehen ge?ffnet, und aus vielen klingt Musik auf die Stra?en hinaus, übungen auf dem Klavier, der Geige oder dem Violoncell, redliche und wohlgemeinte dilettantische Bemühungen. Im 'Odeon' aber wird, wie man vernimmt, an mehreren Flügeln ernstlich studiert.
Junge Leute, die das Nothung-Motiv pfeifen und abends die Hintergründe des modernen Schauspielhauses füllen, wandern, literarische Zeitschriften in den Seitentaschen ihrer Jacketts, in der Universit?t und der Staatsbibliothek aus und ein. Vor der Akademie der bildenden Künste, die ihre wei?en Arme zwischen der Türkenstra?e und dem Siegestor ausbreitet, h?lt eine Hofkarosse. Und auf der H?he der Rampe stehen, sitzen und lagern in farbigen Gruppen die Modelle, pittoreske Greise, Kinder und Frauen in der Tracht der Albaner Berge.
L?ssigkeit und hastloses Schlendern in all den langen Stra?enzügen des Nordens... Man ist von Erwerbsgier nicht gerade gehetzt und verzehrt dortselbst, sondern lebt angenehmen Zwecken. Junge Künstler, runde Hütchen auf den Hinterk?pfen, mit lockeren Krawatten und ohne Stock, unbesorgte Gesellen, die ihren Mietzins mit Farbenskizzen bezahlen, gehen spazieren, um diesen hellblauen Vormittag auf ihre Stimmung wirken zu lassen, und sehen den kleinen M?dchen nach, diesem hübschen, untersetzten Typus mit den brünetten Haarbandeaux, den etwas zu gro?en Fü?en und den unbedenklichen Sitten. ...Jedes fünfte Haus l??t Atelierfensterscheiben in der Sonne blinken. Manchmal tritt ein Kunstbau aus der Reihe der bürgerlichen hervor, das Werk eines phantasievollen jungen Architekten, breit und flachbogig, mit bizarrer Ornamentik, voll Witz und Stil. Und pl?tzlich ist irgendwo die Tür an einer allzu langweiligen Fassade von einer kecken Improvisation umrahmt, von flie?enden Linien und sonnigen Farben, Bacchanten, Nixen, rosigen Nacktheiten...
Es ist stets aufs neue erg?tzlich, vor den Auslagen der Kunstschreinereien und der Basare für moderne Luxusartikel zu verweilen. Wieviel phantasievoller Komfort, wieviel linearer Humor in der Gestalt aller Dinge! überall sind die kleinen Skulptur-, Rahmen- und Antiquit?tenhandlungen verstreut, aus deren Schaufenstern dir die Büsten der florentinischen Quattrocento-Frauen voll einer edlen Pikanterie entgegenschauen. Und der Besitzer des kleinsten und billigsten dieser L?den spricht dir von Donatello und Mino da Fiesole, als habe er das Vervielf?ltigungsrecht von ihnen pers?nlich empfangen...
Aber dort oben am Odeonsplatz, angesichts der gewaltigen Loggia, vor der sich die ger?umige Mosaikfl?che ausbreitet, und schr?g gegenüber dem Palast des Regenten dr?ngen sich die Leute um die breiten Fenster und Schauk?sten des gro?en Kunstmagazins, des weitl?ufigen Sch?nheitsgesch?ftes von M. Blüthenzweig. Welche freudige Pracht der Auslage! Reproduktionen von Meisterwerken aus allen Galerien der Erde, eingefa?t in kostbare, raffiniert get?nte und ornamentierte Rahmen in einem Geschmack von prezi?ser Einfachheit; Abbildungen moderner Gem?lde, sinnenfroher Phantasieen, in denen die Antike auf eine humorvolle und realistische Weise wiedergeboren zu sein scheint; die Plastik der Renaissance in vollendeten Abgüssen; nackte Bronzeleiber und zerbrechliche Ziergl?ser; irdene Vasen von steilem Stil, die aus B?dern von Metalld?mpfen in einem schillernden Farbenmantel hervorgegangen sind; Prachtb?nde, Triumphe der neuen Ausstattungskunst, Werke modischer Lyriker, gehüllt in einen dekorativen und vornehmen Prunk; dazwischen die Portr?ts von Künstlern, Musikern, Philosophen, Schauspielern, Dichtern, der Volksneugier nach Pers?nlichem ausgeh?ngt... In dem ersten Fenster, der ansto?enden Buchhandlung zun?chst, steht auf einer Staffelei ein gro?es Bild, vor dem die Menge sich staut: eine wertvolle, in rotbraunem Tone ausgeführte Photographie in breitem, altgoldenem Rahmen, ein aufsehenerregendes Stück, eine Nachbildung des Clous der gro?en internationalen Ausstellung des Jahres, zu deren Besuch an den Litfa?s?ulen, zwischen Konzertprospekten und künstlerisch ausgestatteten Empfehlungen von Toilettenmitteln, archaisierende und wirksame Plakate einladen.
Blick um dich, sich in die Fenster der Buchl?den. Deinen Augen begegnen Titel wie 'Die Wohnungskunst seit der Renaissance', 'Die
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