der sich die Vielfalt der Körper baut! Sie formt nicht von außen nach 
innen, nicht vom »Realen« zum »Romantischen«; sie formt von innerst 
heraus. Ihre Gestalten sind Vollwesen, nicht Hirngespinste, Vollwesen, 
geschaffen von subtilster Psychologie, geschaffen von höherer 
Psychologie, als sie die größte Hirnarbeit jemals zutage zu fördern 
vermag. Sie glaubt dem Wunder, weil das Wunder in ihr ist! Ihr Ich ist 
legendäre Anschauung der Seele! Ihre Psychologie ist nicht schürfend, 
sie ist da mit der Selbstverständlichkeit der Schöpfung. Untrennbar sind 
ihr Erfindung und Tatsache verwoben. »Ich muß sterben« wird zum 
»Ich darf sterben«, der Tauf- oder Hochzeitszug trifft den Leichenzug, 
der wieder Tauf- und ewiger Hochzeitszug ist. Die Menschen sehen mit 
den »Augen der Seele«, durch sie, daß das »Glück der Einbildung« ihr 
Bestes ist, daß es nichts Schöneres gibt als das Leben, das nicht schwer 
und traurig, sondern: »wunderschön« ist, lebt und versteht man es 
richtig! Alles Häßliche wird ihr zum vergänglichen Entwicklungsstück, 
alles Bittere ist überwindbar. Alle »Großen« sind Kinder, und alle 
Kinder sind »groß«. Sie zwingt die Sehnsüchte, mitzudichten, und sie 
folgen ihr freudig, weil sie überirdische Erfüllung durch sie finden. 
Zeitlos ist die Dichtung der Lagerlöf, sie wandelt die Wege der 
Ewigkeit. Alles Grenzende, Einengende fällt. Immer leidet das Hohe, 
immer leidet die Liebe, immer leiden Mann und Weib und Eltern und 
Kinder, arm und reich, doch es ist nur scheinbar; kaum steht die
Lagerlöf neben ihnen, so sinkt das Niedere, gleich »kriegen« sie sich, 
gleich ist Hilfe, sind Verzeihen und Begreifen jedes Wollens da, gleich 
verschenkt der Reiche sein Gut, um wahrhaft reich zu sein, gleich singt 
der Arme, weil er schon lange wahrhaft reich ist. Mann und Weib sind 
der Lagerlöf immer dieselben! »Sie« ist die reine Magd, blond, keusch, 
stolz, hochgewachsen, helläugig, zu jeder Erlöserarbeit bereit, mag sie 
erst auch noch so hohl, selbstisch und kokett gewesen sein, nie ruft das 
Schicksal sie vergeblich zur Ordnung! Der Lagerlöf Frauengestalten 
sind mit der vollen Reinheit, mit der verschwiegensten Sehnsucht, der 
unberührten, ewigen Jungfräulichkeit gebildet! »Er« ist wild, trotzig, 
verwegen, untreu aus gierig suchender Treue, aufbegehrend in der 
Tollpatschigkeit seines Geschlechtes gegen die letzten Fragen, die er 
durch die Frau, die ihn erlöst, erkennt. »Er« ist ein Weihnachtsmann, 
wie die liebenswerten Kavaliere in »Gösta Berling« wie Gösta Berling 
selbst, hoch, traurig und verliebt, kindlich, schön, ritterlich, und immer 
hat er »Locken« über der »bleichen« Stirn. Er ist immer ein Stück Jesus 
Christus in Verkleidung; »sie« ist immer ein Stück Gottesmutter! Der 
Lagerlöf Religion ist die Religion aller Religionen; sie predigt 
unentwegt, ohne Predigt, des Dichtens Axiom: kein Mensch ist ganz 
verdorben! Sie ist die Toleranz selbst, die auch die wütendsten Gegner 
versöhnt. Kirchengläubigen und Sozialist! Die Lagerlöf kann nicht 
verstehen, warum zwischen diesen, überhaupt zwischen den 
Gegenpolen, zugegeben, daß sie bestehen, Feindschaft sein soll. Sie 
sind doch beide nötig; sie sind doch beide nur Handwerker des Ewigen? 
Sie heißen einmal Christ und Antichrist, vielleicht ist einmal der eine 
ein bißchen mehr weiß und der andere ein bißchen mehr schwarz. Du 
lieber Gott! sie wollen aber doch, bloß auf verschiedene Weise, das 
gleiche: das Glück, die Ruhe des Herzens! Der Lagerlöf ist's kein 
Unterschied, ob die heidnischen Bilder, ob die Heiligenbilder ins Leben 
herauf- oder hinuntersteigen; sie wirken Gutes. Musik erklingt, das 
Chaos legt sich, alle, die bangten, weinten, schluchzten und sich in 
Schmerzen wanden, beginnen zu lächeln! Die Welt wird immer am 
Ende schön, heldenhaft, edel, und was das Schönste und Edelste daran 
ist (ich verwende absichtlich die abgebrauchten »unphilosophischen« 
Worte, die der Lagerlöf Echtheit so völlig der Phrase entkleidet!): die 
Skeptischen werden besiegt, sie erkennen: wir sind so, wenn auch 
leider nur für Augenblicke der Erhebung, wie uns die Lagerlöf sieht
oder selbstherrlich-demütig sehen will. Was in den geheimsten Ecken 
des Ichs nistet, mag man's nun Sentimentalität, Familienblattgier, 
Kindischkeit, Leiermannrührung, Kinoseligkeit, Kolportagegift oder 
wie immer nennen, das alles und noch viel mehr regiert diese Frau 
souverän, völlig unbekümmert um die Entsetzensschreie Ängstlicher, 
Bedenkenüberfüllter, zum Sieg. Die große Kunst der Lagerlöf, die 
Inbrunst ihrer dichterischen Überredung, vermag alle geheimen und 
wilden Schößlinge des Seelenbesitzes zu einer Blüte von berauschender 
Fülle und Seltenheit zu treiben und zu binden. Dieser 
Zusammenraffung alles Vorhandenen im Stofflichen entspricht die 
Verwendung aller Darstellungsmittel. Die Technik der Lagerlöf ist, wie 
der Inhalt des Gegebenen, nie Selbstzweck; beides ist Handwerkszeug, 
um immer wieder den Gralsschein der Seele leuchten zu lassen. Die 
Lagerlöf ist dramatisch und episch, modern, historisch und unmodern; 
sie beherrscht den Dialog gleich wie die Schilderung, sie geht, wenn's 
ihr paßt, Schrittlein für Schrittlein, sie überspringt, wenn's ihr nötig 
erscheint, jeden Abgrund, sie pinselt und strichelt hin und her, sie legt 
mit einem oder zwei Sätzen jeden Charakter, mag er noch so 
kompliziert sein, hin. Sie findet manchmal schwer den Schritt, sie spitzt 
mit geistvoller Schärfe die menschliche »Tendenz« in einen Satz. Ihr 
ist nichts unmöglich, weil der erlösenden Liebe alles    
    
		
	
	
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