Die Prinzessin Girnara | Page 3

Jakob Wasserman
ihr, der Lebendigen in der
Finsternis!
STIMME DES MAGIERS: Gib Kunde der Welt, Kunde den Freunden,
Kunde dir selbst!
DER ZWEITE RITTER: Seid still und lauscht, was der Eidam des
Königs euch kündet!
SIHO: Uneins mit dem Vater, verstoßen aus meinem Land, kam ich
über die Gebirge in dieses. Ich leistete dem König Heeresgefolgschaft,
ihr wißt es, und schwor ihm den Treueid.
DER FREUND: Du hast ihm gedient wie ein Sohn und ein Knecht, sie
wissen es.
DER ERSTE UND DER ZWEITE RITTER: Wir wissen es.
STIMME DES MAGIERS: Vergissest du, daß dich der Ehrgeiz anfraß
und Sorge um ungenügenden Lohn in deinen Nächten brannte?
SIHO: Der Ehrgeiz fraß mich an und Sorge um ungenügenden Lohn
brannte in meinen Nächten.
DER FREUND: Sie biegen sich über die Tafel; hüte dein Wort, sie
essen und trinken nicht mehr vor Begierde, zu hören.
SIHO: Ein mächtiger Odem befiehlt mir, zu reden.
DER FREUND: Hüte dein Wort!
SIHO: Dem König mich zu verbinden sann ich; von der Prinzessin

Girnara träumte ich mit wachen und schlafenden Augen.
STIMME DES MAGIERS: Hast du nicht Eidam des Königs zu werden
getrachtet und der Erste beim Thron?
SIHO: Eidam des Königs wollte ich werden und der Erste beim Thron.
DER ERSTE RITTER: Ihr vernehmt es alle?
DER ZWEITE RITTER, HÖFLING UND DAME: Wir haben's
vernommen.
DER WÜRDENTRÄGER: Zündet Lichter an, es ist dunkel geworden.
HAUSMEIER: Lichter, ihr Faulen, zündet die Lichter an!
ERSTER DIENER: Verzeiht, ich kann mich nicht von der Stelle
rühren.
ZWEITER DIENER: Herr, die Beine gehorchen nicht mehr deinem
Befehl.
HAUSMEIER: Gnaden, die Zunge lahmt mir im Mund, es ist
schlimmer Zauber geschehen.
DER WÜRDENTRÄGER: Wehe, was geht denn vor?
DER ERSTE RITTER: Schweigen geziemt sich, wenn der Verirrte den
Irrweg bekennt.
STIMME DES PILGERS: O Leidumbrandete, Angstverwirrte, dir naht
der Erhabene bald!
SIHO: Vom Feldzug kehrt' ich zurück, hatte die Feinde geschlagen, da
bot mir der König die Hand der Prinzessin an.
DER ZWEITE RITTER: Niemand hat die Prinzessin mit Augen je
gesehen.
HÖFLING: Niemand weiß mehr von ihr als ihren Namen.
STIMME DES MAGIERS: Trankst du den Namen und umgabst ihn
mit Ehrgeizflammen, den Namen allein?
SIHO: Den Namen allein umgab ich mit Ehrgeizflammen und trank ihn
wie seligen Trunk und fiel zu des Königs Füßen nieder und küßte
dankbar den Saum seines Kleides.
STIMME DES MAGIERS: Führte er dich in den Tempel der siebzehn
Säulen, wo die Verschleierte harrte?
SIHO: Die Verschleierte harrte im Tempel der siebzehn Säulen und ich
sah nicht ihr Antlitz, nicht ihre Hand, und der Priester schloß das ewige
Bündnis.
DER FREUND: Es erschüttert dich das Gedenken, du gibst ihnen
Überfülle des Herzens.

SIHO: Ein mächtiger Odem befiehlt mir zu reden; laß es mich sagen,
daß ich des Grauens entledigt werde.
STIMME DES MAGIERS: Und in der Nacht des obern Gewölbes hast
du die Gattin erblickt.
SIHO: Das Grauen verwehrt mir die Worte. Die Gattin hab' ich
erblickt.
STIMME DES PILGERS: Die Gefangene im obern Gewölbe büßt den
Frevel des Vaters, die rasende Untat.
SIHO: Das Grauen verwehrt mir zu denken, ich kann es nicht denken.
SCHÖNE DAME: Sprich, wir flehen dich an, und nimm von mir die
Qual dieser Stunde!
STIMME DES MAGIERS: Reiß den Schlüssel vom Gurt und gib ihn
denen, die bereit sind, zu schirmen!
SIHO: Bitt're Gewalt hast du über mich, verborgene Stimme.
DER FREUND: Löst du den Schlüssel vom Gurt und gibst ihn den
Gierigen preis?
DER ERSTE RITTER: Gib uns den Schlüssel preis, wir wollen das
Grauen ermessen.
SIHO: Hier ist der Schlüssel zum obern Gewölbe, ermeßt die Tiefe des
Grauens.
DER ZWEITE RITTER: Mir überlaß den Schlüssel, zu öffnen die
eherne Pforte.
DER ERSTE RITTER: Nein, ich faßt' ihn zuerst, folge mir nach ins
Gewölbe.
SIHO: Bin ich oder träum' ich? Verriet ich oder ward ich verraten?
DER FREUND: Bist Opfer von vielen, Opfer von dir und ersehntem
Bild.
SIHO: Entschlossen war ich zur Liebe, Sehnsucht zerbrach am
Gräßlichen. Schuld ward gehäuft, die ich nicht wußte, Leiden, das
unbekannt. Frei gewesen, bin ich Sklave geworden, echt gewesen, bin
ich besudelt, stark gewesen und jetzt ohne Nerv, furchtlos gewesen,
nun mit dem Grauen im Blut.
DER FREUND: Verhängnis fiel über dich.
SIHO: Wo ist meine Schuld?
STIMME DES MAGIERS: Schuld ist Blutqual geworden.
SIHO: Wozu der Traum?
STIMME DES MAGIERS: Traum war Laster und Lüge.

SIHO: Stimme ohne Erbarmen!
SCHÖNE DAME, HÖFLING: Die Ritter sind fortgeeilt.
FRÄULEIN: Sie sind mit dem Schlüssel ins obere Gewölbe.
STIMME DES PILGERS: Fahr' ein zur inneren Meeresstille,
Neubeseelte!
SIHO: Stimme des Trostes, wo kommst du her?
DER WÜRDENTRÄGER: Finsternis würgt mich schon, eure Hand,
euern Arm!
STIMMEN DER GÄSTE: Weh uns! Weh uns!
STIMME DES MAGIERS: Weh euch! Weh euch!
STIMME DES SÄNGERS: Weh uns Verlorenen!
STIMME DES PILGERS: Ist anders das Leben und anders der Leib?
Heil dir, Siegreich-Vollendeter!
SIHO: Wahrerer Traum beginnt. Licht schwillt auf.
STIMMEN:
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