Fülle mein oft schauderndes Herz. 
Jeder Baum, jede Hecke ist ein Strauß von Blüten, und man möchte 
zum Maienkäfer werden, um in dem Meer von Wohlgerüchen 
herumschweben und alle seine Nahrung darin finden zu können. 
Die Stadt selbst ist unangenehm, dagegen rings umher eine 
unaussprechliche Schönheit der Natur. Das bewog den verstorbenen 
Grafen von M., einen Garten auf einem der Hügel anzulegen, die mit 
der schönsten Mannigfaltigkeit sich kreuzen und die lieblichsten Täler 
bilden. Der Garten ist einfach, und man fühlt gleich bei dem Eintritte, 
daß nicht ein wissenschaftlicher Gärtner, sondern ein fühlendes Herz 
den Plan gezeichnet, das seiner selbst hier genießen wollte. Schon 
manche Träne hab' ich dem Abgeschiedenen in dem verfallenen 
Kabinettchen geweint, das sein Lieblingsplätzchen war und auch 
meines ist. Bald werde ich Herr vom Garten sein; der Gärtner ist mir 
zugetan, nur seit den paar Tagen, und er wird sich nicht übel dabei 
befinden.
Am 10. Mai 
Eine wunderbare Heiterkeit hat meine ganze Seele eingenommen, 
gleich den süßen Frühlingsmorgen, die ich mit ganzem Herzen genieße. 
Ich bin allein und freue mich meines Lebens in dieser Gegend, die für 
solche Seelen geschaffen ist wie die meine. Ich bin so glücklich, mein 
Bester, so ganz in dem Gefühle von ruhigem Dasein versunken, daß 
meine Kunst darunter leidet. Ich könnte jetzt nicht zeichnen, nicht 
einen Strich, und bin nie ein größerer Maler gewesen als in diesen 
Augenblicken. Wenn das liebe Tal um mich dampft, und die hohe 
Sonne an der Oberfläche der undurchdringlichen Finsternis meines 
Waldes ruht, und nur einzelne Strahlen sich in das innere Heiligtum 
stehlen, ich dann im hohen Grase am fallenden Bache liege, und näher 
an der Erde tausend mannigfaltige Gräschen mir merkwürdig werden; 
wenn ich das Wimmeln der kleinen Welt zwischen Halmen, die 
unzähligen, unergründlichen Gestalten der Würmchen, der Mückchen 
näher an meinem Herzen fühle, und fühle die Gegenwart des 
Allmächtigen, der uns nach seinem Bilde schuf, das Wehen des 
Alliebenden, der uns in ewiger Wonne schwebend trägt und erhält; 
mein Freund! Wenn's dann um meine Augen dämmert, und die Welt 
um mich her und der Himmel ganz in meiner Seele ruhn wie die 
Gestalt einer Geliebten--dann sehne ich mich oft und denke : ach 
könntest du das wieder ausdrücken, könntest du dem Papiere das 
einhauchen, was so voll, so warm in dir lebt, daß es würde der Spiegel 
deiner Seele, wie deine Seele ist der Spiegel des unendlichen 
Gottes!--mein Freund--aber ich gehe darüber zugrunde, ich erliege 
unter der Gewalt der Herrlichkeit dieser Erscheinungen. 
Ich weiß nicht, ob täuschende Geister um diese Gegend schweben, oder 
ob die warme, himmlische Phantasie in meinem Herzen ist, die mir 
alles rings umher so paradiesisch macht. Das ist gleich vor dem Orte 
ein Brunnen, ein Brunnen, an den ich gebannt bin wie Melusine mit 
ihren Schwestern.--Du gehst einen kleinen Hügel hinunter und findest 
dich vor einem Gewölbe, da wohl zwanzig Stufen hinabgehen, wo 
unten das klarste Wasser aus Marmorfelsen quillt. Die kleine Mauer, 
die oben umher die Einfassung macht, die hohen Bäume, die den Platz 
rings umher bedecken, die Kühle des Orts; das hat alles so was 
Anzügliches, was Schauerliches. Es vergeht kein Tag, daß ich nicht 
eine Stunde da sitze. Da kommen die Mädchen aus der Stadt und holen
Wasser, das harmloseste Geschäft und das nötigste, das ehemals die 
Töchter der Könige selbst verrichteten. Wenn ich da sitze, so lebt die 
patriarchalische Idee so lebhaft um mich, wie sie, alle die Altväter, am 
Brunnen Bekanntschaft machen und freien, und wie um die Brunnen 
und Quellen wohltätige Geister schweben. O der muß nie nach einer 
schweren Sommertagswanderung sich an des Brunnens Kühle gelabt 
haben, der das nicht mitempfinden kann. 
Am 13. Mai 
Du fragst, ob du mir meine Bücher schicken sollst?--lieber, ich bitte 
dich um Gottes willen, laß mir sie vom Halse! Ich will nicht mehr 
geleitet, ermuntert, angefeuert sein, braust dieses Herz doch genug aus 
sich selbst; ich brauche Wiegengesang, und den habe ich in seiner Fülle 
gefunden in meinem Homer. Wie oft lull' ich mein empörtes Blut zur 
Ruhe, denn so ungleich, so unstet hast du nichts gesehn als dieses Herz. 
Lieber! Brauch' ich dir das zu sagen, der du so oft die Last getragen 
hast, mich vom Kummer zur Ausschweifung und von süßer 
Melancholie zur verderblichen Leidenschaft übergehen zu sehn? Auch 
halte ich mein Herzchen wie ein krankes Kind; jeder Wille wird ihm 
gestattet. Sage das nicht weiter; es gibt Leute, die mir es verübeln 
würden. 
Am 15. Mai 
Die geringen Leute des Ortes kennen mich schon und lieben mich, 
besonders die Kinder. Eine traurige Bemerkung hab' ich gemacht. Wie 
ich im Anfange mich zu ihnen gesellte, sie freundschaftlich fragte über 
dies und das, glaubten einige, ich wollte ihrer spotten, und fertigten 
mich wohl gar grob ab. Ich ließ mich das nicht verdrießen; nur fühlte 
ich, was ich schon oft bemerkt habe, auf das lebhafteste : Leute von    
    
		
	
	
	Continue reading on your phone by scaning this QR Code
 
	 	
	
	
	    Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the 
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.
	    
	    
