Daß du fortgingst?--Daß du hier warst! 
Berta. Daß ich hier war? 
Graf. Standst du nicht Hier auf dieser, dieser Stelle Schießend deine 
kalten Pfeile Nach des grauen Vaters Brust. 
Berta. Als Ihr schliefet? 
Graf. Kurz erst, jetzt erst! 
Berta. Eben komm ich von dem Söller! Als der Schlummer Euch 
umfing Ging ich sehnsuchtsvoll hinaus Nach dem Teuern 
umzuschauen. 
Graf. Schändlich!--Mädchen, höhnst du mich? 
Berta. Höhnen?--ich, mein Vater?--ich? 
(Mit überströmenden Augen zu Günther.) 
Ach sprich du!--Ich weiß nicht--kann nicht! 
Günther. Ja fürwahr, mein gnäd'ger Herr, Ja, das Fräulein kömmt vom 
Söller. Ich stand bei ihr, und wir schauten In die schneeerhellte Gegend 
Ob kein Wanderer sich nahe. Erst als Ihr sie gellend rieft, Eilte sie mit 
mir herbei. 
Graf (rasch). Und ich sah--
Günther. Ihr sahet--? 
Graf. Nichts! 
Günther. Ihr saht etwa--? 
Graf. Nichts! nichts sag ich! 
(Vor sich hin.) 
Es ist klar, ich hab geträumt! Wenn sich gleich die Sinne sträuben, Das 
Gedächtnis es verneint, Doch ist's so; ich hab geträumt! Kann der 
Schein sich also hüllen Ins Gewand der Wirklichkeit? Diese Hand seh 
ich nicht klarer Als ich jenes Bild gesehn! Und doch, meine sanfte 
Berta! Es ist klar, ich hab geträumt!-- Was stehst du so ferne, Berta? 
Hast du keinen Vorwurf, Liebe, Für den harten, rauhen Vater Der so 
bitter dich gekränkt? Ach, so warst du schon als Kind, Trugest 
immerdar zugleich Der Beleid'gung herben Schmerz Und das Unrecht 
des Beleid'gers. Immer gut und immer schuldlos, Schienst du stets die 
Schuldige-- 
Berta (an seiner Brust). Und bin ich nicht wirklich schuldig? Wenn 
auch nicht als Grund des Zornes, Ach, doch als sein Gegenstand! 
Graf. Du verzeihst mir also, Berta? 
Berta. Ihr habt wohl geträumt, mein Vater! Es gibt gar lebend'ge 
Träume! Oder dieser Halle Dunkel Matt vom Kerzenlicht erhellt 
Täuscht' in trügender Gestaltung Euer schlummertrunknes Aug'. 
Oh, ich hab es oft erfahren, Wie die Sinne, aufgeregt, Stumpfe Diener 
unsrer Seele, Gern für wahr und wirklich halten Die verworrenen 
Gestalten, Die der Geist in sich bewegt. Gestern nur, mein Vater, ging 
ich In des Zwielichts mattem Strahl Durch den alten Ahnensaal. In der 
Mitte hängt ein Spiegel, Halb erblindet und voll Flecken. Wie ich ihn 
vorüber gehe Bleib ich, meinen Anzug musternd, Vor dem matten 
Glase stehn. Eben senk ich nach dem Gürtel Nieder meine beiden 
Hände, Da--Ihr werdet lachen, Vater! Und auch ich muß jetzt fast 
lächeln Meiner kindisch schwachen Furcht, Doch in jenem 
Augenblicke Konnt' ich nur mit Schreck und Grauen Das verzerrte 
Wahnbild schauen. Wie ich senke meine Hände Um den Gürtel 
anzuziehn, Da erhebt mein Bild im Spiegel Seine Hände an das Haupt, 
Und mit starrendem Entsetzen Seh ich in dem dunkeln Glase Meine 
Züge sich verzerren. Immer sind es noch dieselben Und doch anders, 
furchtbar anders, Und mir selbst nicht ähnlicher Als ein Lebend'ger 
seiner Leiche. Weit reißt es die Augen auf Starrt nach mir, und mit dem
Finger Droht es warnend gegen mich. 
Günther. Weh, die Ahnfrau! 
Graf (wie von einem plötzlichen schrecklichen Gedanken ergriffen, 
vom Sessel aufspringend). Ahnfrau! 
Berta (verwundert). Ahnfrau? 
Günther. Saht Ihr nie ihr Bild im Saale, Euch so ähnlich, gnäd'ges 
Fräulein, Gleich als hättet Ihr dem Maler, Lieblich wie Ihr seid, 
gesessen? 
Berta. Oftmals hab ich's wohl gesehn, Es mit Staunen mir betrachtet, 
Und es war mir immer teuer Wegen dieser Ähnlichkeit. 
Günther. Und Ihr kennet nicht die Sage, Die von Mund zu Munde geht? 
Berta. Schon als Kind hört' ich's erzählen, Doch ein Märchen nennt's 
der Vater. 
Günther. Ach, er fühlt's zu dieser Frist, Wie er sich's auch selbst 
verhehle, Fühlt's im Tiefsten seiner Seele, Daß es mehr als Märchen ist. 
Ja, die Ahnfrau Eures Hauses, Jung und blühend noch an Jahren, Berta, 
so wie Ihr geheißen, Schön und reizend, so wie Ihr, Von der Eltern 
Hand gezwungen, Zu verhaßter Ehe Bund, Sie vergaß ob neuen 
Pflichten Langgehegter Liebe nicht; In den Armen ihres Buhlen 
Überfiel sie der Gemahl. Durstend seine Schmach zu rächen, Straft' er 
selber das Verbrechen Stieß ins Herz ihr seinen Stahl, Jenen Stahl, den 
in der Blinde Man dort aufgehangen hat, Zum Gedächtnis ihrer Sünde, 
Zum Gedächtnis seiner Tat. Ruhe ward ihr nicht vergönnet, Wandeln 
muß sie ohne Rast, Bis das Haus ist ausgestorben, Dessen Mutter sie 
gewesen, Bis weit auf der Erde hin Sich kein einz'ger Zweig mehr 
findet Von dem Stamm den sie gegründet, Von dem Stamm der Borotin. 
Und wenn Unheil droht dem Hause, Sich Gewitter türmen auf, Steigt 
sie aus der dunkeln Klause An die Oberwelt herauf. Da sieht man sie 
klagend gehen, Klagend, daß ihr Macht gebricht, Denn sie kann's nur 
vorhersehen, Ab es wenden kann sie nicht! 
Berta. Und das ist es--? 
Günther. Das ist alles Was ich hier zu sagen wage, Wenn gleich all 
nicht was ich weiß. Eines ist noch übrig, eines, Das des Hauses ältre 
Diener, Das der Gegend welke Greise Bang sich in die Ohren raunen,    
    
		
	
	
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