Der Wendekreis - Erste Folge

Jakob Wasserman
Der Wendekreis - Erste Folge

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Title: Der Wendekreis - Erste Folge Novellen
Author: Jakob Wassermann
Release Date: June 11, 2006 [EBook #18551]
Language: German
Character set encoding: ISO-8859-1
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WENDEKREIS - ERSTE FOLGE ***

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Der Wendekreis von Jakob Wassermann
Erster Band
Der unbekannte Gast Adam Urbas Golowin Lukardis Ungnad Jost

1920 S. Fischer / Verlag / Berlin

Erste bis zehnte Auflage Alle Rechte, insbesondere das der
Übersetzung, vorbehalten Copyright 1920 S. Fischer, Verlag

Inhalt
Der unbekannte Gast ..... 7 Adam Urbas .............. 45
Golowin ................. 79 Lukardis ................ 167 Ungnad ..................
201 Jost .................... 293

Der unbekannte Gast
An die Pforte dieses Werkes, das der Verfasser nicht ohne
verantwortungsvolles Zagen unternimmt, sei eine Geschichte von
hinübergreifender Beziehung gestellt, weniger in sich selber ruhend als
sonst Geschichten schlechthin, doch mit nichten Brevier oder
Verkündigung, nur Brücke, nur Weiser, und so auch Bild und
Gespinnst eher als Vorgang und Ereignis.
* * * * *
Ein Schriftsteller in mittlerem, ja vorgerücktem Alter, er werde Mörner
genannt, erfuhr zu einer bestimmten Zeit des letztvergangenen Jahres
eine unerklärliche Veränderung seines seelischen Gleichgewichts. Er
hatte nach längerer Ruhepause eine neue Arbeit begonnen, die seine
Gedanken despotisch beherrschte, und deren Schwierigkeiten ihn nicht
nur nicht abschreckten, sondern alle freien Kräfte in ihm sammelten
und gegen ein lockendes Ziel trieben.
Auf einmal brachen diese Kräfte. Eines schönen Tages erlahmte der
Nerv des Schaffens. Daß es keine vorübergehende Unlust, keine jener
Trübungen war, die wie Nebel über einer Landschaft und doch im
Grunde atmende Zeugnisse des Lebens sind, spürte Mörner. Es war wie

wenn die Feder in einer Uhr zerbricht, oder noch beunruhigender, wie
wenn man eine Vorratskammer betritt, die man mit Fleiß und Umsicht
gefüllt hat, und sie gänzlich leer findet.
Schließlich war es ein Verlust wie der Tod eines Wesens. Er sprach in
einem Freundeskreis darüber, mit Zurückhaltung anfangs, da es ihm
widerstrebte, innere Wirrungen zum Gegenstand des
Meinungsaustausches zu machen. Die Verstimmung, unter der er litt,
war bereits aufgefallen; was er nun als ihre Ursache bezeichnete, wollte
keinem recht einleuchten und man hielt es für Hypochondrie eines
Zwischenzustandes. Man kannte seine zweifelsüchtige und häufig
schwankende Art; er hatte oft genug das Schauspiel des Selbstquälers
gegeben, der nach jeder abgeschlossenen Leistung sie zerpflückte und
hilflos wie vor dem ersten Beginn in die Zukunft schaute, alles von
Schicksal und Fügung erhoffend, nichts oder wenig von seinem Talent.
Aber seine Hingabe war unbegrenzt, seine Arbeit ein opfervoller Dienst;
dem unermüdlichen und redlichen Bemühen war der reinste Wille
gesellt, die Unbestechlichkeit des Gewissens, die jede Erleichterung
und Versüßung ablehnt. Dazu kam, daß ihm der Erfolg nicht gefehlt
hatte; mißtraute er ihm auch, so war er doch von ihm auf eine gewisse
Lebenshöhe getragen worden; war auch sein Name, sein Werk
umstritten, so genoß er doch die Achtung, ja die verehrende Neigung
Vieler und erhielt nicht selten unzweideutige Beweise davon.
Die Freunde nahmen also seine sichtliche Verstörung nicht ernst. Dies
reizte seine Ungeduld, und als einer von ihnen mit etwas zu billigem
Trost geendet hatte, sagte Mörner: »Wenn ein Mensch wie ich nicht
mehr an die Wichtigkeit und Notwendigkeit seiner Mission glaubt, ist
er einfach das allerüberflüssigste Geschöpf auf Erden. Wie erst, wenn
ihm die Aufgabe selber entschwindet, wenn er nicht mehr weiß, was er
überhaupt noch soll und das Fertige wie ein umgeblasenes Kartenhaus
hinter ihm liegt? Da wird alle Wirklichkeit ein Gespenstergraus; sein
Geist hat gar nicht Fassungsraum genug für die Tiefe des Abgrunds,
der vor ihm gähnt.«
Die Freunde stutzten und schwiegen. Einige begriffen nicht recht, was
er meinte, und er fuhr achselzuckend fort: »Mission ist freilich ein viel

zu anspruchsvolles Wort. Man dürfte seinen Ehrgeiz nicht über die
Haltung eines honetten Handwerksmeisters spannen. So war es in
früheren Zeiten. Das Außerordentliche entstand gleichsam durch
bescheidenen Zufall, nicht in priesterhafter Gier und Askese. Was
erstrebt man denn, was ersehnt man denn? Man will das Formlose
formen; was die Natur zerstückelt liegen läßt, zusammenfügen und es
der großen Vergeuderin und Zerstörerin entgegenhalten. Unzulänglich
bleibt man dabei immer, aber es ist wunderbar, so lang das Material
gehorcht, und das Auge, und die Hand. Zerrinnt einem aber der Stein,
den man aus dem Bruch schlägt, zu flüssigem Sand, flattern von der
Fackel, die man am großen Weltenfeuer entzündet hat, statt der
Flammen rotgefärbte Papierfetzen empor, so ist es schlimm, mehr als
schlimm, es ist das Ende.«
Mit jäher Bewegung erhob er sich und ging
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