Kaiser-- 
--"auch kann man ja hier die Allwissenheit der Priesterin des Pietismus 
prüfen, lassen Sie die Dame kommen--Mademoiselle--?" versetzte er 
fragend. 
"Mademoiselle Lesueur," erwiderte Pietri. 
Der Kaiser nickte mit dem Kopfe.
Pietri ging hinaus und führte nach wenigen Augenblicken durch die 
Portiere eine junge Dame von achtzehn bis neunzehn Jahren in das 
Cabinet, während er selbst einen ganz einfachen Tisch von leichtem 
unpolirten Holz in der Hand trug und in die Mitte des Zimmers 
niedersetzte. 
Der Kaiser grüßte die junge Dame mit verbindlicher Artigkeit und 
betrachtete sie mit forschendem Blick. 
Mademoiselle Lesueur war eine äußerst elegante und sympathische 
Erscheinung, sie trug ein dunkles, einfaches Seidenkleid um den Hals 
mit einer kleinen Spitzenkrause geschlossen. Ihr dunkelbraunes Haar 
war in leichten Flechten um den Kopf gewunden, ihr zartes Gesicht 
dessen durchsichtige Blässe von einer feinen Röthe auf den Wangen 
belebt wurde, war von klassischer Schönheit, ihre dunklen Augen mit 
den auffallend langen Wimpern waren voll Geist, Lebendigkeit und 
Sanftmuth zugleich, und um ihren zierlichen und frischen Mund lag ein 
Zug von fast kindlicher Harmlosigkeit und Naivität. 
Sie verneigte sich ohne alle Befangenheit mit den Manieren der besten 
Gesellschaft vor dem Kaiser, welcher ganz erstaunt schien, die 
berühmte Sybille in der Gestalt eines so anmuthigen, jungen Mädchens 
zu erblicken. 
"Man hat mir viel erzählt," sagte der Kaiser, "von der besonderen, 
eigentümlichen Kraft, welche Sie besitzen, das Reich der Geister zu 
öffnen. Und da ich mich für alle solche Dinge interessire, durch welche 
man versucht, den Schleier der Geheimnisse zu lüften, welche unser 
Leben umgeben, so habe ich gewünscht, eine Probe Ihrer Kunst zu 
sehen." 
"Es macht mich glücklich," erwiderte Fräulein Lesueur mit einer 
ungemein wohltönenden, etwas tiefen Stimme, "Euer Majestät Wunsch 
zu erfüllen. Es ist keine geheimnißvolle Kunst dabei," fuhr sie fort, 
"meine Mutter hatte die Kraft, durch das Medium dieses kleinen 
Tisches eine Verbindung mit dem unsichtbaren Reich der Geister 
herzustellen. Diese ihre Kraft ist auf mich übergegangen, und nach 
ihrem Tode habe ich es versucht, wie sie die Geister sprechen zu
lassen,--es ist mir in vielen Fällen gelungen, und ich hoffe, daß es mir 
auch Euer Majestät gegenüber gelingen wird." 
"So beginnen wir," sagte der Kaiser. 
Pietri stellte zwei Stühle einander gegenüber an den kleinen Tisch. 
Mademoiselle Lesueur setzte sich auf den einen, zog ihre Handschuhe 
aus,--legte die Spitzen ihrer zierlichen Finger leicht auf die Tischplatte 
und sagte: 
"Wollen Euer Majestät die Gnade haben, mir gegenüber Platz zu 
nehmen." 
Der Kaiser setzte sich mit einem fast unwillkürlichen Lächeln an die 
andere Seite des Tisches. 
"Ich bitte Euer Majestät," sagte Fräulein Lesueur, "Ihre Hände ebenso 
wie ich auf die Platte legen zu wollen." 
Der Kaiser that es. 
Fräulein Lesueur schwieg einen Augenblick. Dann schlug sie ihre 
dunklen Augen mit schwärmerischem Ausdruck empor und sprach mit 
halb lauter Stimme: 
"Allmächtiger, dreieiniger Gott, der Du herrschest auf der Erde, wie in 
den Höhen des Himmels und in den Tiefen der Hölle, ich bitte Dich 
den Geistern, die ich in Deinem Namen rufe, zu erlauben, daß sie aus 
ihren Wohnungen herabsteigen und auf meine Fragen antworten, zu 
verkündigen, was sie wissen und was Du ihnen erlaubst, zu sagen." 
Der Kaiser hörte ganz erstaunt diesen im Ton des inbrünstigen Gebets 
gesprochenen Worten zu. 
"Befehlen Euer Majestät," sagte die junge Dame sodann, "daß ich einen 
bestimmten Geist rufen soll, oder wollen Sie den mir persönlich 
befreundeten Geist hören."
Abermals konnte der Kaiser ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken. 
"Ich bitte Sie zunächst Ihren Geist kommen zu lassen, Mademoiselle," 
sagte er. 
"Es ist der Geist meiner Mutter," erwiderte Mademoiselle Lesueur, 
"und er wird sogleich erscheinen." 
Sie beugte sich ein wenig nieder und flüsterte eine unverständliche 
Formel leise vor sich hin. 
Wenige Augenblicke darauf begann der Tisch leise zu zittern. 
Der Kaiser drückte die Hände stärker auf die Platte, allein die unruhige, 
beinahe wellenförmige Bewegung des Holzes vermehrte sich immer 
mehr und mehr. Nach kurzer Zeit hob sich der Tisch auf der Seite des 
Kaisers ein wenig in die Höhe und blieb in dieser schwebenden 
Stellung stehen. 
"Der Geist ist da," sagte Mademoiselle Lesueur, "und bereit, Euer 
Majestät zu antworten. Ich bitte, Euer Majestät, zu fragen,--es ist aber 
nicht nöthig, daß Sie die Frage aussprechen, Sie können Sie in 
Gedanken stellen, die Geister haben die Kraft, die Gedanken zu lesen." 
Der Kaiser dachte einen Augenblick nach. 
"Kann mir der Geist," fragte er, "den Namen nennen, an welchen ich in 
diesem Augenblick denke?" 
"Wie heißt der Name?" fragte Mademoiselle Lesueur mit gesenktem 
Haupt und leiser Stimme. 
Der Tisch setzte sich sogleich in eine lebhafte Bewegung. Er schwankte 
einige Male stark hin und her, dann senkten sich die beiden erhobenen 
Füße desselben nieder, und in rascher Folge begann er scharf und 
vernehmbar auf das Parquet zu klopfen, immer nach einer gewissen 
Zahl von Schlägen inne haltend. 
Mademoiselle Lesueur folgte aufmerksam diesen Schlägen, mit leiser
Stimme sagte sie: B-e-a-u-r-y. 
"Der Name, an den Euer Majestät gedacht, heißt    
    
		
	
	
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