Der Roman eines geborenen Verbrechers | Page 3

Antonino M.
bemerkenswert, denn es macht die
Proben von Genie, die sich in der Selbstbiographie fanden, noch
auffälliger.
Mit siebzehn Jahren begannen die Verhängnisse seines -- wie er es
nennt -- bejammernswerten Lebens. Eines Tages schoß er auf

öffentlichem Platz, ohne ersichtlichen Grund, nur um eine seinem
Bruder zugefügte Kränkung zu rächen -- auf einen Landsmann, der
sofort eine Leiche war. Der Gerichtshof in Monteleone verurteilte ihn
zu fünf Jahren Gefängnis.
Hier schloß er Freundschaft mit den berühmtesten Camorristen jener
Zeit; die berüchtigsten kalabrischen Briganten, die in den
Gefängnissen Catanzaros saßen, waren, wie er sagt, seine treuesten
Freunde.
Er nahm an einem Aufstand im Gefängnis teil, der durch das
Eingreifen der Zivilbehörden von Catanzaro beigelegt wurde. Von hier
aus kam er nach Pizzo, dann nach Lucera di Puglia.
In Pizzo blieb er nur einen Monat, aber das genügte schon für ihn, die
Strafgefangenen zu einem Fluchtversuch zu verleiten, der nur durch
Zufall mißlang.
Von Pizzo kam er nach Neapel in das Gefängnis del Carmine, wo er
von dem Haupt der Camorristen herzlich aufgenommen wurde. Fortan
hatte er seinen Genossen Liebe und Achtung und dem Masto blinden
Gehorsam geschworen; er war Mitglied der Camorra. Mit lebhaftem
Verstand begabt, begriff er rasch die Regeln der Gesellschaft, sein
Name war bekannt und gefürchtet wie der eines alten Genossen. Von
Neapel kam er nach Foggia und dann nach Lucera mit einigen
Gefährten, die ihn als Haupt der Camorra anerkannten.
So fand er, ein Jüngling noch, ehe er noch den Einfluß der ersten Strafe
richtig gefühlt hatte, welche Verbrecher von nicht verdorbenen
Anlagen demütigt, im Gefängnis einen Ort, welcher der Entwickelung
einer verbrecherischen Persönlichkeit Vorschub leistet, die nur
schlechter und raffinierter aus dem Gefängnis heraus kommt: der
impulsive und blutdürstige Charakter hat dort oft Gelegenheit,
hervorzubrechen und nicht immer in richtiger Beziehung zu den
Thatsachen, die entweder falsch interpretiert werden oder sich als
kleine Funken erweisen, welche einen ganzen Brand entfachen, der von
dem immer brennenden Herd ausgeht. Wenig fehlte und er hätte eines
Tages den Krankenwärter erschlagen, der nach seiner Darstellung in

das Chinin Kalkstaub mischte.
Von Lucera, wo ihn das Sumpffieber heimsuchte, kam er nach der
Strafanstalt zu Neapel. Hier setzte er sich sofort mit den Camorristen in
Beziehung und nahm Teil an einem heftigen Kampf zwischen
kalabrischen und neapolitanischen Camorristen, einer wahren
Schlacht, bei der sechzehn tötlich verwundet, einem Wächter die
Eingeweide ausgerissen, zwei getötet und einer leicht verwundet wurde.
Von Natur blutdürstig, fand er im Kampf seine eigentliche Atmosphäre.
Als Camorrist tätowierte er sich, indem er sich auf die Brust ein
Losungswort der Camorra schrieb: Tod der Schmach!
IV.
Nach verbüßter Strafzeit kehrte er nach Parghelia zurück, blieb hier
einen Monat und wurde dann Soldat. Auch als solcher setzte er sein
schlimmes Leben fort. Er duldete keine Vorwürfe, keine Tadel,
verachtete die Vorgesetzten, verlor ihre Achtung und zettelte Intriguen
gegen sie an. Seine gewaltthätige, blutdürstige, bösartige Natur wurde
durch ein übertriebenes Selbstgefühl angestachelt: überall witterte er
Nachstellung, Mangel an Respekt, Verrat; überall sah er Kränkungen
und Aufreizungen.
Zeitweilig war er ruhig und friedlich; während solcher immer kurzen
Periode war er freundlich gegen die Kameraden, die Vorgesetzten und
seine fern weilende Familie. Aber plötzlich war das vorbei, die Luft
nahm in seinen Augen eine andere Farbe an, und Zorn- und
Wutausbrüche, Flüche, Blut- und Rachedurst waren die Folgen, ohne
einen anderen Grund, als daß ein Wort oder eine Handlung
mißgedeutet wurde, die für jeden anderen ohne Belang gewesen wären.
Eines Tages gebot ein Vorgesetzter ihm Ruhe -- er ohrfeigte ihn und
versuchte ihn zu töten. Er wurde zu drei Jahren Gefängnis verurteilt;
nachdem diese verbüßt waren, kam er wieder zum Regiment. Er
änderte sich nicht. Die Perversität seiner Empfindungen machte ihn
zum Päderasten, er knüpfte mit einem Kameraden ein Verhältnis an. Er
schrieb einen anonymen Brief gegen seinen Sergeanten und verwundete
seinen Kameraden im Gesicht, und wurde zu einem weiteren Jahre

verurteilt. Im Kerker versuchte er mit einer halben Scheere, aus der er
sich einen Dolch gemacht hatte, einen Kameraden umzubringen, um
sich wegen einer alten Kränkung zu rächen, obschon der Gegenstand
seines Hasses schon an sich in einem Zustand war, der Mitleid hätte
einflößen können. Von da kam er zur zweiten und dann zur ersten
Strafkompagnie in Venedig, wo er sich durch sein tückisches und
unverbesserliches Benehmen auszeichnete. Strenger Arrest, langes
Fasten nützten nichts; für ihn waren die Strafen immer ungerecht;
jeder mißhandelte, mißachtete ihn.
Schon um diese Zeit (1879) brach sein heftiger und wilder Haß gegen
seinen Bruder Michele los, der, wie er meinte, ihn vernachlässigte und
seinen Tod wünschte, um sich die väterliche Erbschaft anzueignen, die
schon zum größten Teil sich angeeignet zu haben er ihn beschuldigte.
Die ersten Zeichen dieses Hasses traten hervor, als er im Lazarett zu
Cava dei Tirreni war, wo er einen Brief seines Bruders, der Nachricht
von ihm verlangte, mit häßlichen Worten und Hohngelächter empfing.
Der einzige Grund für
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