du ihn 
nicht neulich dort angetroffen?" 
"Ach der Dorfpfarrer", versetzte der Abbé mitleidig. "Ja, ich erinnere 
mich. Ist er Ihnen nicht gleichgültig, mein Herr?" 
"Ich müßte der nichtswürdigste Stutzer sein, wenn er mir's wäre", 
antwortete Johannes außer allen Sprüngen, "es ist mein leiblicher 
Vater." 
"So?" kreischte mein Abbé im höchsten Kammerton, und nickte wieder 
auf seine Arbeit hin. 
"Sie sehen also, mein Herr! daß Sie hier unrecht sind", sagte Luzilla, 
"gehen Sie zum Schulhalter Hecht--der wird Ihnen näheren Bescheid
geben." 
Johannes sah fest auf den Boden und fort.--Er kam zu seinem Vater. 
--Schon eh' er ausreiste, hatte er so viele Theologie mitgenommen, daß 
er sich zur Not hätte können examinieren lassen. Die vielseitige 
Bekanntschaft mit der Welt, die er sich nunmehr erworben, verbunden 
mit seinen andern Kenntnissen, erleichterten ihm die Mühe, ins 
Predigtamt zu kommen. Sobald er sich das erstemal öffentlich hatte 
hören lassen, freute sich jedermann, ein Werkzeug seiner Beförderung 
zu werden. Er bekam eine mittelmäßig gute Stelle. Viele meiner Leser 
werden stutzen und einen Roman zu lesen glauben, wenn sie finden, 
daß es ihm, ungeachtet seiner Inorthodoxie, doch mit seiner 
Beförderung geglückt sei. Er ließ es sich aber auch nur nicht einfallen, 
sich aus dem Eide einen Gewissensskrupel zu machen, mit dem er sich 
zu den symbolischen Büchern verband. Niemals war es sein Zweck 
gewesen, den Bauren die Theologie als Wissenschaft vorzutragen; es 
gingen sie also die Glaubenslehren der Kirche, so wenig als ihre 
Zweifel an. Das Mystische der einen, so wie das Aufgeklärte der 
andern geht weit über ihr Fassungsvermögen. Sehr wohl konnte er also 
für seine Person zu gewissen festgesetzten Lehren schwören, ohne 
welche keine äußerliche Kirche bestehen kann, und zu denen jeder den 
Schlüssel in seinem Herzen hat. Denn, im Grunde, was sind Lehren 
anders, als Vorstellungsarten, und welcher Eid kann diese binden, 
welcher Eid mich zwingen, Licht zu sehen, wenn ich im dunklen 
Zimmer stehe, oder umgekehrt? Genug, daß der Eid vorbauende 
Formel ist, keine Sachen zu lehren, die auf das Leben und die 
Handlungen der Zuhörer einen widerwärtigen Einfluß haben, als den 
die wahre Religion auf sie haben soll. So sagte er also seinen Zuhörern 
kein Wort, weder von der Ewigkeit der Höllenstrafen, noch von der 
Vereinigung der beiden Naturen, noch von den Geheimnissen des 
Abendmahls, bis sie selbst drauf kamen, und sich insgeheim bei ihm 
Rats erholten, da er seinen Unterricht denn jedesmal nach der 
besondern Beschaffenheit der Person, die ihn fragte, einrichtete. Aber 
er lehrte sie ihre Pflichten gegen ihre Herrschaft, gegen ihre Kinder, 
gegen sie selbst. Er wies ihnen, wie sie durch eine ordentliche 
Haushaltung sich den Druck der Abgaben erleichtern könnten, deren 
Notwendigkeit er ihnen deutlich machte. Er erzählte ihnen, wie es in
andern Ländern wäre, und machte ihnen ihren Zustand durch die 
Vergleichung mit schlimmeren süßer. Er erzählte ihnen einzele 
Beispiele von Hauswirten, die durch ihren Fleiß und Geschicklichkeit 
sich emporgebracht, bewies ihnen, daß Arbeit und oft Mangel selbst 
der Samen zu all unserm zeitlichen Glücke sein, und daß Vereinigung 
ihrer Kräfte, ihrer Herden, ihrer Ländereien und Verträglichkeit und 
Freundschaft untereinander die Grundfeste ihrer und der ganzen 
bürgerlichen Wohlfahrt wären, und daß je wohlhäbiger sie durch 
gegenseitige Hülfe würden, desto weniger sie den Druck der Abgaben 
fühlten, desto weniger selbst Abgaben zu geben brauchten, die oft nur 
deswegen verwendet werden, den Kredit des Landes von außen 
emporzuhalten, weil er von innen zu sinken anfängt. Er bewies ihnen 
aus der ältern und neuern Geschichte, doch immer so, daß sie es fassen 
konnten, daß die Leidenschaften der Fürsten selbst immer mehr 
Entsehen vor dem wohlhäbigen und fleißigen, als vor dem dürftigen 
und verzagten Bürger gehabt, weil der Reichtum der Bürger auch ihr 
eigener wäre. Er warnte sie ebensowohl vor Ausschweifungen und 
Lüderlichkeiten, als vor den frühen Heiraten und den Zerstückelungen 
ihrer Grundstücke, welches alles Verwirrung und Armseligkeit in ihre 
Haushaltungen brächte. So fehlte es ihm keinen Sonntag an Stoff zum 
Reden, welchen er von einzelen Fällen hernahm, und konnt' er nur gar 
nicht dazu kommen, jemals an aristotelischen oder andern 
theologischen Spitzfindigkeiten hängenzubleiben. Die Vesper des 
Sonntags Nachmittags verwandelte er in eine ökonomische 
Gesellschaft und zwar auf folgende Art. Er hielt ein kurzes herzliches 
Gebet in der Kirche, alsdann versammlete er die Vorsteher und die 
angesehensten Bürger des Dorfs um sich herum und sprach mit ihnen 
von wirtschaftlichen Angelegenheiten. Sie mußten ihm alle ihre Klagen 
übereinander, alle ihre Bedenklichkeiten über diese und jene neue 
Einführung, alle Hindernisse ihres Güterbaues vortragen, und er 
beantwortete sie ihnen, entweder sogleich, oder nahm sie bis auf den 
folgenden Sonntag in Überlegung, mittlerweile er sich in Büchern oder 
durch Korrespondenzen mit andern Landwirten darüber Rats erholte. 
Endlich, damit er mit desto mehrerer Zuverlässigkeit von allen diesen 
Sachen mit ihnen reden könnte, ging er mit einem der wohlhäbigsten 
Bürger seines Dorfs einen Vertrag ein, vermittelst dessen jener ihm, 
gegen soundso viel Stück Vieh und Auslagen der Baukosten, einen
verhältnismäßigen    
    
		
	
	
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