Leser, und 
bitte dich, du mögest mir in jene Zeit folgen, wo in unserm lieben 
Deutschland das äußere Leben noch gar eng und klein war, wo aber das 
Leben, das aus Gott ist, in manchem Dörfchen, in manchem 
unscheinbaren Haus eine trauliche Stätte gefunden hatte, und dort zu 
Thaten trieb, die auch in Gott gethan waren. Erwartest du, daß ich dir 
von Menschen erzähle, die Tausende beglückt oder über die Tausende 
geweint, daß ich dich mit Staunen erregenden Begebenheiten unterhalte, 
oder wohl gar Mordgeschichten dir vor's Auge führe, wie das hin und 
wieder geschieht; dann, mein lieber Leser, lege das Büchlein schon 
jetzt bei Seite. Nein, in ein stilles Dörfchen, auf einer grünen Höhe im 
lieben Vaterland, will ich dich führen; in ein Häuschen will ich dich 
geleiten, arm und klein; von einem Manne will ich dir erzählen, der im 
kleinen Kreise des Guten viel that, und heiß geliebt und innig betrauert 
zum Herrn ging, an den er im Leben treu geglaubt hatte. Noch spricht 
man in jenen Thälern, wo unsere Geschichte sich zugetragen, vom 
Kalendermann vom Veitsberg, noch steht sein Häuschen in seinem 
alten Zustande da, noch grünen die Bäume, die er gepflanzt, noch weht 
sein guter Geist des Glaubens und der Liebe in den Enkeln seiner 
Schüler. Ist auch Manches untergegangen, was er gewirkt, sein 
Gedächtniß lebt noch im Segen, und manches Blatt Papier gibt hier und 
da Zeugniß von seinem Fleiß und seiner Frömmigkeit. 
Und so begleite mich denn, mein lieber Leser, in die Heimath des 
Kalendermanns. Ich weiß gut Bescheid daselbst, denn sie ist auch 
meine Heimath, mein liebes Hessenland, mit seinen grünen Hügeln und 
waldigen Höhen und fruchtbaren Ebenen, auf die Gottes Auge allezeit 
segnend herabblicken möge! Während ich die gelben Blätter betrachte, 
die der Kalendermann geschrieben, denk' ich der Zeit, wo ich am Haag, 
der sein Grab umgränzt, Veilchen gesucht, oder von seinen Bäumen die 
Kirschen gebrochen. Lieb ist mir sein Gedächtniß, möchte es auch dir
lieb werden! -- 
 
2. Der Gallusmarkt. 
Es war Gallustag des Jahres 17.., und in Grünberg, dem freundlichen 
Städtchen im Lande Hessen, war Jahrmarkt. Weithin über die Felder 
am westlichen Theile der Stadt breitete sich eine vielfache Reihe von 
Zelten aus, manche einfach von Leinwand, manche groß und mit mehr 
Kunst von Baumästen aufgeführt, zum Nutzen und Vergnügen der 
Marktgäste. Da sah man hoch aufgeschichtet die Holzwaaren vom 
Vogelsberg, Löffel und Küchengeräthe, zierlich mit Figuren 
geschmückt, und vor Allem Spinnräder, bunt von Farben und künstlich 
ausgedreht, mit Ringlein und hölzernen Springmännlein, die bei jedem 
Umschwung des Rades tanzten. Zwischen den Spinnrädern durch 
gingen sittig und prüfend die Mägdlein, mit den Krämern feilschend, 
und der Winterabende gedenkend, wo die bunten Räder zum lustigen 
Gespräch der Spinnstube schnurren sollten. 
Und neben die Spinnräder hatten die Bänderkrämer aus Sachsen ihre 
Buden aufgeschlagen. Hoch von den Stangen herab flatterten lustig und 
lockend, von Seide und Wolle, theuer und wohlfeil, aber brauchbar und 
sehr beliebt, die bunten Bänder, und die Krämer priesen den Mägdlein 
die breiten, mit Flittergold durchwirkten Streifen zu Rockenbändern an. 
Von vielen Kunden besucht, bekannten und unbekannten, und manchen 
Gruß rufend und manchen Händedruck gebend, sah man dort die 
Schuhmacher von Alsfeld und Homberg guten Markt halten, während 
die Messerschmiede von Lauterbach mit den Kindern um die 
Batzenmesserlein feilschten, klein und mit hölzernen Stielen, indeß der 
Kaufmann von fern her, auf dem Nagel den Stand der Messer und 
Gabeln prüfte und dutzendweise sie mit sich nahm. 
Hell glänzten dort in der Octobersonne die Zelte und Buden der Blech- 
und Kupferschmiede von Grünberg, und ihnen zur Seite hatten auf dem 
grünen Rasen einer Wiese zwischen den Herbstzeitlosen, die Niemand 
beachtete, die Töpfer von Marburg und Hausen ihre bräuchliche Waare
ausgestellt. 
Es war gute Zeit im Lande, die Erndte war reichlich ausgefallen, in den 
Säcken des Bauern war Geld und die Kaufleute waren billig und ließen 
Alles um den halben Preis, wie sie sagten, aus lauter guter Freundschaft. 
Wohin man nur sah, da bemerkte man frohe Gesichter. Selbst um die 
Bude eines reisenden Doctors her gab's mehr Lachen, als Weinen; denn 
so schrecklich der Mann selber aussah in seiner ungeheuren Perücke 
und seinem dreieckten Bordenhut darauf und seinem rothen Rock mit 
thalergroßen Stahlknöpfen und seinem Halsband von Menschenzähnen; 
so hatte er doch neben sich ein Männlein stehen, bunt gekleidet und 
immer lachend, das mit seinen Späßen auch die bittersten Pillen und 
Pulver versüßte, und so drollige Gesichter schnitt, während er die 
Köpfe zum Zahnausziehen hielt, daß aller Schmerz nicht der Rede 
werth war. 
Und was doch in der Bude gegenüber das Bier so trefflich schmeckte 
und die Würste so lieblich dufteten; denn wer that's je den Metzgern 
von Grünberg in ihrer Blutwurst gleich! Nur Einer wagte zu versichern, 
die seine sei besser, fetter und delicater, das war ein Metzger aus 
Schotten, der seine Bude nicht fern von dem Grünberger aufgeschlagen 
hatte, und allen Kunden    
    
		
	
	
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