und ihre tiefen, blauen Augen blickten 
sehnsüchtig und hoffend zu ihm empor. Da hörte sie von seinen 
stummen, zuckenden Lippen ungesprochene Worte in ihr Ohr klingen, 
Worte der Liebe und des Mitleids, und sie lächelte glückselig, da sein 
Mund sich auf den ihren senkte. 
Und dann setzten sie sich eng aneinandergelehnt auf die Bank und ihre 
Rede war immer das eine Wort »ich liebe dich« und »ich liebe dich«, 
und in ihren Küssen war Sehnsucht und Dank und Erfüllung, bis sie 
scheiden mußten. 
* * * * *
Leon hatte beim Heimreiten lange überlegt, ob er der Mutter von seiner 
Liebe erzählen solle; denn er fühlte, daß ihr daraus viel Sorge 
erwachsen würde. Aber er wußte auch, daß er allein zu schwach sei, 
eine Entscheidung zu treffen. Hatte ihn doch schon eben in allen den 
süßen Augenblicken des Glückes beim Turme fast störend der eine 
Gedanke gequält, daß Berta mit ihm fliehen wollte. Was ihn hätte 
beglücken und entzücken sollen, sein Blut zum Sieden hätte bringen 
müssen, das beunruhigte ihn, das störte ihm sein Glück. Die Gefahren 
der Reise, der Haß und die sichere Verfolgung des Grafen, das 
Ungemach für seine Eltern und viel Unausgedachtes und rasch beim 
Aufkeimen in seiner Seele Unterdrücktes: eine Fülle von ungewohnten, 
peinigenden Vorstellungen drängte sich nun zwischen seine Liebe und 
die Geliebte. »Ich kann doch nicht wie mit einer Vagantin mit der 
Grafentochter herumziehen!« wiederholte er. Und so kam er zu Hause 
an. 
Vater war noch im Forsthause draußen und so saß er mit der Mutter 
allein in der Stube; und langsam, langsam kamen ihm die Worte von 
den Lippen, die hellen und die dunklen, seine Hoffnungen und Sorgen. 
Die Mutter hatte sich wohl gedacht, daß Leon seiner Kinderträume 
nicht ledig geworden sei, nun hörte sie auch von Bertas Liebe zu ihrem 
Sohne. Sie sann dem Gehörten eine Weile schweigend nach, dann ließ 
sie die Hände in den Schoß fallen. 
»Ihr seid jung und liebet euch,« sagte sie dann, »so müßt ihr auch den 
Mut für eine Liebe haben! Und ihr werdet viel Liebe, viel Mut und viel 
Ausdauer brauchen!« 
»Und soll ich Berta jetzt mit mir nehmen?« fragte Leon hastig. 
»Deine Frage, mein Junge, ist schon Antwort genug!« sagte die kluge 
Frau. »Sie wird nicht mehr davon sprechen! Aber vielleicht läßt sie ihr 
Vater, nachdem du weggeritten, zu mir, und, wenn sie nicht für längere 
Zeit bei uns leben kann, sie wird schon Wege finden, zu mir zu 
kommen! Und wenn du Gelegenheit hast, uns einen Brief zu senden, 
dann wird sie wohl ein Brieflein dabei finden!«
Leon hatte erleichtert genickt, er hatte, da er ihre Hände küßte, gefühlt, 
daß er ihrer würdig werden müsse und daß ihn diese edle Frau nicht 
mehr als Knaben, sondern als Mann wiedersehen solle. Er reckte sich 
empor, er dachte an Berta und fühlte sich stark und sicher. 
Dann kam er mit Berta noch mehrere Male zusammen und die Mutter 
hatte recht gehabt. Berta scheute sich, auf ihre Worte beim ersten 
Zusammentreffen zurückzukommen, sie sprach nicht mehr davon und 
dankte im Herzen Leon, der so feinfühlig war, sie nicht beschämen zu 
wollen. Sie umarmten und küßten einander beim tränenvollen Abschied 
und gelobten sich ewige Liebe und Treue; er erzählte ihr von seiner 
Gewohnheit beim Aveläuten und sie versprachen einander, den 
Abendglocken ihre Grüße mitzugeben, daß die sie einander entgegen 
schwängen. Und dann wandte sich Leon zum letzten Male auf dem 
Pferde um und nahm ihr letztes Schleierwinken in seiner übervollen 
Seele mit nach Italien. 
* * * * * 
Er hatte vorerst zwei volle Jahre auf der welschen Universität bleiben 
wollen. Die ersten Monate hatte ihn die wache Erinnerung an seine 
Braut, wie er sie in seinen Zwiegesprächen mit seinem Herzen nannte, 
aufrecht erhalten. Dann hatte er einen hochgelehrten Lehrer gefunden, 
dem er das Leiden der kranken Gräfin vorgetragen, und dem der Casus 
viel Nachdenken und gründliches Meditieren verursacht hatte. Denn er 
hatte den deutschen Studenten lieb gewonnen und wollte ihm gern 
helfen. Er hatte ihm denn endlich auch ein Arkanum für die Gräfin 
versprochen und dabei den einsilbigen Scholaren selbst in seine Kur 
genommen, nachdem er seinen Puls lange geprüft und ihm wiederholt 
zur Ader gelassen hatte. Denn Leon fühlte sich matt und schrieb dies 
dem schlaffen Süden zu, indes wohl sein Heimweh nach dem Norden 
und sein altes Herzübel an ihm zehren mochten. 
Als es denn nach ein und einem halben Jahre wieder Frühling werden 
wollte, da kam ein unstillbares Drängen über ihn, daß er seinem 
gelehrten Meister erklärte, er müsse wieder nordwärts ziehen, ihm sei, 
als ob ein geheimer Zauber ihn heimdränge; ob der verehrte Lehrer ihm 
nun das Mittel für die kranke Gräfin schon jetzt geben könne.
Da führte ihn der Gelehrte in seine Studierstube und brachte zwischen 
allerlei seltsamen Kolben und Gefäßen eine Tafel hellen Fensterglases 
hervor, die in einem Bleirahmen gefaßt war. 
»Dies Glas,    
    
		
	
	
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