Das Urteil, by Franz Kafka 
 
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Title: Das Urteil Eine Geschichte 
Author: Franz Kafka 
Release Date: May 24, 2007 [EBook #21593] 
Language: German 
Character set encoding: ISO-8859-1 
*** START OF THIS PROJECT GUTENBERG EBOOK DAS 
URTEIL *** 
 
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DAS URTEIL 
EINE GESCHICHTE VON FRANZ KAFKA
LEIPZIG KURT WOLFF VERLAG 1916 
Gedruckt bei E. Haberland in Leipzig-R. September 1916 als 
vierunddreißigster Band der Bücherei »Der jüngste Tag« 
Copyright 1916 by Kurt Wolff Verlag - Leipzig 
 
FÜR F. 
 
Es war an einem Sonntagvormittag im schönsten Frühjahr. Georg 
Bendemann, ein junger Kaufmann, saß in seinem Privatzimmer im 
ersten Stock eines der niedrigen, leichtgebauten Häuser, die entlang des 
Flusses in einer langen Reihe, fast nur in der Höhe und Färbung 
unterschieden, sich hinzogen. Er hatte gerade einen Brief an einen sich 
im Ausland befindenden Jugendfreund beendet, verschloß ihn in 
spielerischer Langsamkeit und sah dann, den Ellbogen auf den 
Schreibtisch gestützt, aus dem Fenster auf den Fluß, die Brücke und die 
Anhöhen am anderen Ufer mit ihrem schwachen Grün. 
Er dachte darüber nach, wie dieser Freund, mit seinem Fortkommen zu 
Hause unzufrieden, vor Jahren schon nach Rußland sich förmlich 
geflüchtet hatte. Nun betrieb er ein Geschäft in Petersburg, das anfangs 
sich sehr gut angelassen hatte, seit langem aber schon zu stocken schien, 
wie der Freund bei seinen immer seltener werdenden Besuchen klagte. 
So arbeitete er sich in der Fremde nutzlos ab, der fremdartige Vollbart 
verdeckte nur schlecht das seit den Kinderjahren wohlbekannte Gesicht, 
dessen gelbe Hautfarbe auf eine sich entwickelnde Krankheit 
hinzudeuten schien. Wie er erzählte, hatte er keine rechte Verbindung 
mit der dortigen Kolonie seiner Landsleute, aber auch fast keinen 
gesellschaftlichen Verkehr mit einheimischen Familien und richtete 
sich so für ein endgültiges Junggesellentum ein. 
Was wollte man einem solchen Manne schreiben, der sich offenbar 
verrannt hatte, den man bedauern, dem man aber nicht helfen konnte.
Sollte man ihm vielleicht raten, wieder nach Hause zu kommen, seine 
Existenz hierher zu verlegen, alle die alten freundschaftlichen 
Beziehungen wieder aufzunehmen -- wofür ja kein Hindernis bestand -- 
und im übrigen auf die Hilfe der Freunde zu vertrauen? Das bedeutete 
aber nichts anderes, als daß man ihm gleichzeitig, je schonender, desto 
kränkender, sagte, daß seine bisherigen Versuche mißlungen seien, daß 
er endlich von ihnen ablassen solle, daß er zurückkehren und sich als 
ein für immer Zurückgekehrter von allen mit großen Augen anstaunen 
lassen müsse, daß nur seine Freunde etwas verstünden und daß er ein 
altes Kind sei, das den erfolgreichen, zu Hause gebliebenen Freunden 
einfach zu folgen habe. Und war es dann noch sicher, daß alle die Plage, 
die man ihm antun müßte, einen Zweck hätte? Vielleicht gelang es 
nicht einmal, ihn überhaupt nach Hause zu bringen -- er sagte ja selbst, 
daß er die Verhältnisse in der Heimat nicht mehr verstünde --, und so 
bliebe er dann trotz allem in seiner Fremde, verbittert durch die 
Ratschläge und den Freunden noch ein Stück mehr entfremdet. Folgte 
er aber wirklich dem Rat und würde hier -- natürlich nicht mit Absicht, 
aber durch die Tatsachen -- niedergedrückt, fände sich nicht in seinen 
Freunden und nicht ohne sie zurecht, litte an Beschämung, hätte jetzt 
wirklich keine Heimat und keine Freunde mehr, war es da nicht viel 
besser für ihn, er blieb in der Fremde, so wie er war? Konnte man denn 
bei solchen Umständen daran denken, daß er es hier tatsächlich 
vorwärts bringen würde? 
Aus diesen Gründen konnte man ihm, wenn man noch überhaupt die 
briefliche Verbindung aufrecht erhalten wollte, keine eigentlichen 
Mitteilungen machen, wie man sie ohne Scheu auch den entferntesten 
Bekannten machen würde. Der Freund war nun schon über drei Jahre 
nicht in der Heimat gewesen und erklärte dies sehr notdürftig mit der 
Unsicherheit der politischen Verhältnisse in Rußland, die demnach also 
auch die kürzeste Abwesenheit eines kleinen Geschäftsmannes nicht 
zuließen, während hunderttausende Russen ruhig in der Welt 
herumfuhren. Im Laufe dieser drei Jahre hatte sich aber gerade für 
Georg vieles verändert. Von dem Todesfall von Georgs Mutter, der vor 
etwa zwei Jahren erfolgt war und seit welchem Georg mit seinem alten 
Vater in gemeinsamer Wirtschaft lebte, hatte der Freund wohl noch 
erfahren und sein Beileid in einem Brief mit einer Trockenheit
ausgedrückt, die ihren Grund nur darin haben konnte, daß die Trauer 
über ein solches Ereignis in der Fremde ganz unvorstellbar wird. Nun 
hatte aber Georg seit jener Zeit, so wie alles andere, auch    
    
		
	
	
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