hereinzuziehen. Casanova aber 
schüttelte den Kopf. Denn, nachdem er fast schon versucht gewesen 
war, einer begreiflichen Neugier nachzugeben und der Aufforderung 
Olivos zu folgen, überkam ihn seine Ungeduld mit neuer Macht, und er 
versicherte Olivo, daß er leider genötigt sei, heute noch vor Abend 
Mantua in wichtigen Geschäften zu verlassen. Was hatte er auch in 
Olivos Haus zu suchen? Sechzehn Jahre waren eine lange Zeit! Amalia 
war indes gewiß nicht jünger und schöner geworden; bei dem 
dreizehnjährigen Töchterlein würde er in seinen Jahren kaum 
sonderlichen Anwert finden; und Herrn Olivo selbst, der damals ein 
magerer, der Studien beflissener Jüngling gewesen war, als bäurisch 
behäbigen Hausvater in ländlicher Umgebung zu bewundern, das lockte 
ihn nicht genug, als daß er darum eine Reise hätte aufschieben sollen, 
die ihn Venedig wieder um zehn oder zwanzig Meilen näher brachte. 
Olivo aber, der nicht gesonnen schien, Casanovas Weigerung ohne 
weiteres hinzunehmen, bestand darauf, ihn vorerst einmal im Wagen 
nach dem Gasthof zu bringen, was ihm Casanova füglich nicht 
abschlagen konnte. In wenigen Minuten waren sie am Ziel. Die Wirtin, 
eine stattliche Frau in der Mitte der Dreißig, begrüßte in der Einfahrt 
Casanova mit einem Blick, der das zwischen ihnen bestehende zärtliche 
Verhältnis auch für Olivo ohne weitres ersichtlich machen mußte. 
Diesem aber reichte sie die Hand als einem guten Bekannten, von dem 
sie - wie sie Casanova gegenüber gleich bemerkte - eine gewisse, auf 
seinem Gut wachsende, sehr preiswürdige, süßlich-herbe Weinsorte 
regelmäßig zu beziehen pflegte. Olivo beklagte sich sofort, daß der 
Chevalier von Seingalt (denn so hatte die Wirtin Casanova begrüßt, 
und Olivo zögerte nicht, sich gleichfalls dieser Anrede zu bedienen) so 
grausam sei, die Einladung eines wiedergefundenen alten Freundes
auszuschlagen, aus dem lächerlichen Grunde, weil er heute, und 
durchaus gerade heute, von Mantua wieder abreisen müsse. Die 
befremdete Miene der Wirtin belehrte ihn sofort, daß diese von 
Casanovas Absicht bisher noch nichts gewußt hatte, und Casanova hielt 
es daraufhin für angebracht, zu erklären, daß er den Reiseplan zwar nur 
vorgeschützt, um nicht der Familie des Freundes durch einen so 
unerwarteten Besuch lästig zu fallen; tatsächlich aber sei er genötigt, ja 
verpflichtet, in den nächsten Tagen eine wichtige schriftstellerische 
Arbeit abzuschließen, wofür er keinen geeignetern Ort wüßte, als 
diesen vorzüglichen Gasthof, in dem ihm ein kühles und ruhiges 
Zimmer zur Verfügung stände. Darauf beteuerte Olivo, daß seinem 
bescheidenen Haus keine größre Ehre widerfahren könne, als wenn der 
Chevalier von Seingalt dort sein Werk zum Abschluß brächte; die 
ländliche Abgeschiedenheit könne einem solchen Unternehmen doch 
nur förderlich sein; an gelehrten Schriften und Hilfsbüchern, wenn 
Casanova solcher benötigte, wäre auch kein Mangel, da seine, Olivos, 
Nichte, die Tochter seines verstorbenen Stiefbruders, ein junges, aber 
trotz ihrer Jugend schon höchst gelehrtes Mädchen, vor wenigen 
Wochen mit einer ganzen Kiste voll Büchern bei ihnen eingetroffen sei; 
- und wenn des Abends gelegentlich Gäste erschienen, so brauchte sich 
der Herr Chevalier weiter nicht um sie zu kümmern; es sei denn, daß 
ihm nach des Tages Arbeit und Bemühen eine heitre Unterhaltung oder 
ein kleines Spielchen nicht eher eine willkommene Zerstreuung 
bedeutete. Casanova hatte kaum von einer jungen Nichte vernommen, 
als er auch schon entschlossen war, sich dieses Geschöpf in der Nähe 
zu besehn; anscheinend noch immer zögernd, gab er dem Drängen 
Olivos endlich nach, erklärte aber gleich, daß er keineswegs länger als 
ein oder zwei Tage von Mantua fernbleiben könne, und beschwor seine 
liebenswürdige Wirtin, Briefe, die für ihn indes hier anlangen mochten 
und vielleicht von höchster Wichtigkeit waren, ihm unverzüglich durch 
einen Boten nachzusenden. Nachdem die Sache so zu Olivos großer 
Zufriedenheit geordnet war, begab sich Casanova auf sein Zimmer, 
machte sich für die Reise fertig, und schon nach einer Viertelstunde trat 
er in die Gaststube, wo Olivo sich indes in ein eifriges Gespräch 
geschäftlicher Natur mit der Wirtin eingelassen hatte. Nun erhob er sich, 
trank stehend sein Glas Wein aus, und verständnisvoll zwinkernd 
versprach er ihr, den Chevalier - wenn auch nicht bereits morgen oder
übermorgen - doch in jedem Falle wohlbehalten und unversehrt an sie 
zurückzustellen. Casanova aber, plötzlich zerstreut und hastig, empfahl 
sich so kühl von seiner freundlichen Wirtin, daß sie ihm, schon am 
Wagenschlag, ein Abschiedswort ins Ohr flüsterte, das eben keine 
Liebkosung war. 
Während die beiden Männer die staubige, im sengenden Mittagsglanz 
daliegende Straße ins Land hinausfuhren, erzählte Olivo weitschweifig 
und wenig geordnet von seinen Lebensumständen: wie er bald nach 
seiner Verheiratung ein winziges Grundstück nahe der Stadt gekauft, 
einen kleinen Gemüsehandel angefangen; dann seinen Besitz 
allmählich erweitert und Landwirtschaft zu treiben begonnen; - wie er 
es endlich durch die eigne und seiner Gattin Tüchtigkeit mit Gottes 
Segen so weit gebracht, daß er vor drei Jahren von dem verschuldeten 
Grafen Marazzani dessen altes, etwas verfallenes Schloß samt 
dazugehörigem Weingut käuflich zu erwerben imstande gewesen, und 
wie er sich nun auf adligem Grund mit Frau und Kindern behaglich, 
wenn auch keineswegs gräflich, eingerichtet habe. All dies aber    
    
		
	
	
	Continue reading on your phone by scaning this QR Code
 
	 	
	
	
	    Tip: The current page has been bookmarked automatically. If you wish to continue reading later, just open the 
Dertz Homepage, and click on the 'continue reading' link at the bottom of the page.
	    
	    
