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dem Reichskanzler unterstellt, der aber im Laufe von 50 Jahren nur 
einmal von seinem Eingriffsrecht Gebrauch gemacht hat. Eine 
weitergehende Verständigung ist möglich. Es wäre aber sehr gefährlich, 
wenn man anstelle der Verantwortung die Ueberwachung setzte. Das 
würde das freie Verantwortungsgefühl erschüttern und als 
Präzedenzfall die Zentralnotenbanken aller Staaten schädigen. 
Man hat uns endlich gefragt, ob wir mitarbeiten wollen am 
Wiederaufbau Europas. Deutschland würdigt die hohe Wichtigkeit 
dieser Aufgabe und ihren Zusammenhang mit der Lage der 
Weltwirtschaft. Es ist zwar nicht in der Lage, dem Kapitalmarkt der 
Welt Mittel im Ausmasse reicherer Staaten zur Verfügung zu stellen, 
immerhin unter den beabsichtigten Bedingungen ist Deutschland in der 
Lage, den ihm zugedachten Teil zu übernehmen. Deutschland ist um so 
mehr geeignet, am Wiederaufbau teilzunehmen, als es mit den 
technischen und wirtschaftlichen Bedingungen und Gepflogenheiten 
des Ostens vertraut ist. Der Weg, auf den man sich begeben will, 
erscheint mir richtig. Ein internationales Syndikat, und zwar ein 
Privatsyndikat. Deutschland glaubt, dass man die Frage des 
Wiederaufbaus beginnen sollte mit der Wiederherstellung des Verkehrs 
und der Verkehrsmittel. Man muss sodann an die Quellen der 
Produktion vordringen und vor allem die bestehenden Unternehmungen
wieder neu beleben. Deutschland glaubt, dass es an der Entwicklung 
des Ostens und der Mitte Europas um so mehr Anteil zu nehmen 
berechtigt ist wegen seiner Haltung der politischen und wirtschaftlichen 
Entwicklung gerade dieses östlichen Europas gegenüber. In dem 
Augenblick, als Deutschland fast am Ende seiner Kräfte war nach 
Krieg, Niederbruch, Revolution hat Deutschland doch der staatlichen 
und sozialen Desorganisation widerstanden. Hätte diese 
Desorganisation in Deutschland triumphiert, so wäre sie eine 
entscheidende Gefahr für die ganze Welt geworden. Deshalb glaubt 
Deutschland, sich nicht nur nach Kräften der Wiederherstellung 
zerstörter Gebiete des Westens, sondern auch mit Rücksicht auf seine 
geographische Lage und Kenntnis nachbarlicher Verhältnisse der 
Wiederherstellung von Ost- und Zentral-Europa widmen zu sollen, und 
somit an der Aufgabe teilzunehmen, die die Grossmächte sich im 
Einvernehmen mit diesen Gebieten gestellt haben. 
 
REDE VOR DEM HAUPTAUSSCHUSS DES REICHSTAGES VOM 
7. MÄRZ 1922 
Im Mittelpunkt unserer gesamten Aussenpolitik steht nach wie vor das 
Problem der Reparationen. In dem Augenblick, als im Frühjahr letzten 
Jahres das Ultimatum von Deutschland unterzeichnet wurde und 
dadurch das Reparationsproblem in sein gegenwärtig aktuelles Stadium 
trat, waren drei Auffassungen in Deutschland gegenüber diesem 
Problem erkennbar. 
Die eine Auffassung ging dahin, es müsse Festigkeit gezeigt und 
Widerstand geleistet, es müsse, komme, was da wolle, die Leistung der 
Reparationen überhaupt abgelehnt werden. Ich glaube nicht, dass diese 
Anschauung eine verbreitete war, sie ist aber in der Oeffentlichkeit zum 
Ausdruck gekommen. Niemand hat den Versuch gemacht, darzulegen, 
mit welchen Mitteln eine solche Politik geführt werden könne, und zu 
welchen Ergebnissen sie führen würde. Dieses Ergebnis wäre lediglich 
die Katastrophe gewesen, die Versenkung Deutschlands in ein Chaos 
auswärtiger Verwirrungen.
Die zweite Auffassung, die uns entgegentrat, fand Widerklang in 
diesem hohen Hause. Es war die Auffassung, dass man zwar bis zu 
einem bestimmten Masse sich dem Reparationsproblem nähern dürfe, 
dass aber die erste Aufgabe der Reichsregierung darin bestehen müsse, 
wie man sich ausdrückte, mit aller Offenheit zu erklären, die 
Leistungen seien vollkommen unerfüllbar und es habe überhaupt 
keinen Zweck, sie in irgendwelchem bedeutenderen Ausmasse in 
Erwägung zu ziehen. Diese Politik wurde bezeichnet als die Politik der 
Offenheit, und es wurde der Regierung der schwere Vorwurf gemacht, 
dass sie angeblich diese Offenheit nicht aufbrächte. Diese Auffassung 
war unpsychologisch, denn der andere hörte aus dem »Wir können 
nicht« nur das »Wir wollen nicht« heraus. 
Die dritte Auffassung des Versuches der Erfüllung war die Auffassung 
der Reichsregierung, und sie ist im Laufe dieses Jahres in erheblichem 
Masse gefördert worden. Die Reichsregierung ging davon aus, dass 
eine Verpflichtung für das Reich geschaffen sei durch die Unterschrift 
seiner massgebenden Stellen. Sie ging davon aus, dass unter allen 
Umständen der Versuch gemacht werden müsse, den ehemaligen 
Gegnern zu zeigen, dass Deutschland bereit sei, bis an die Grenze 
seiner Leistungsfähigkeit zu gehen. Ich glaube, dass diese Auffassung 
die psychologisch richtige war. Sie rechnete mit der Mentalität der 
ehemals gegnerischen Länder und ging davon aus, dass über kurz oder 
lang eine Erkenntnis des wirklichen Sachverhalts eintreten würde durch 
eigene Einsicht der übrigen Nationen. 
Ich bedaure, dass ein Wort, das ich bei Einleitung dieser sogenannten 
Erfüllungspolitik gesprochen habe, erheblichen Missverständnissen 
begegnet ist. Man hat aus Ausführungen, die ich im Reichstag tat, 
geschlossen, ich wäre der Meinung, Deutschland könne bis zu jedem 
beliebigen Masse seine Erfüllung treiben; es wäre lediglich eine Frage, 
wie weit man es für wünschenswert hielte, das Volk in Not geraten zu 
lassen. Ich würde eine solche Auffassung, wenn sie in meinen Worten 
erkennbar wäre, auf das tiefste bedauern. Was ich gesagt habe, war 
aber so ziemlich das Entgegengesetzte. Ich habe für die Möglichkeit 
der Erfüllung die stärkste Grenze gezogen, die man überhaupt ziehen 
kann, nämlich die sittliche. Ich habe erklärt, dass das Mass der
Erfüllung gegeben sei durch die Frage, wie weit man ein    
    
		
	
	
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