und wäre am liebsten fortgegangen, wenn ich nicht eine 
neue Störung hätte vermeiden wollen. Als aber alles sich erhob, sah ich, 
wie die schöne Frau rasch aufstand, den schwarzen Spitzenschleier 
über den Kopf zog und durch den schmalen Gang gerade auf mich zu 
kam. Sie war tadellos gewachsen, ein wenig zu voll, aber von einer 
Leichtigkeit der Bewegungen, die sie noch jugendlich erscheinen ließ. 
In ihrer weißen Hand, die ohne Handschuh den Schleier zusammenhielt, 
trug sie einen kleinen Fächer mit Perlmuttergriff. Den öffnete sie halb 
und bewegte ihn nachlässig, als sie in meine Nähe kam, und sah mir 
dabei mit einem ruhigen, aber vielsagenden Blick voll ins Gesicht. 
Dann, da ich keine Miene machte, als ob ich irgend etwas zu verstehen 
glaubte, warf sie den Kopf ein wenig zurück, lächelte vornehm, daß 
ihre schönen Zähne schimmerten, und rauschte an mir vorbei. 
Im nächsten Augenblick schon hatte ich dies Intermezzo vergessen. 
Aber meine Freudigkeit war plötzlich verschwunden. Je näher der 
Abend rückte, je bänger wurde mir der Mut, und in der verabredeten 
Stunde schleppte ich, wie ein schwerer Verbrecher, der vor seinen 
Richter treten soll, meine Schritte nach der Villa hinaus. 
Ich erschrak heftig, als ich statt der Nina, die ich am Gitter zu treffen 
dachte, ihren Vater am Portal stehen sah. Aber der Alte, obwohl er 
mürrisch genug aussah, nickte mir doch schon von weitem zu und 
machte ein Zeichen, daß ich nähertreten sollte. 
Ihr habt der Signorina einen Brief geschrieben, sagte er, den Kopf
schüttelnd. Ei, ei, warum habt Ihr das getan? Wenn ich das von Euch 
gedacht hätte, mit meinem Willen hättet Ihr keinen Fuß in das Haus 
gesetzt. Und mein armer Herr, und alles, was ich ihm versprochen habe, 
und was alles noch kommen kann--ich darf gar nicht daran denken! 
Tapfrer alter Freund, sagt' ich, es sollte nicht hinter Eurem Rücken 
geschehen. Wärt Ihr gestern zu Haus gewesen, gewiß, ich hätte den 
Brief Euch selbst gegeben und allenfalls hättet Ihr ihn lesen können, 
um zu sehn, daß ich nichts als Ehrenhaftes im Sinn habe. Aber sagt um 
Gottes willen-Kommt, unterbrach er mich. Wir wollen die Zeit nicht 
verderben. Ihr seid ein honetter junger Herr, und übrigens: wie sollt' ich 
alter Tropf es hindern, wenn ich's auch wollte? Sie ist die Herrin, glaubt 
es mir, so jung sie ist. Wenn sie sagt: das will ich! so widersteht ihr 
niemand. Und sie will Euch sehn, sogleich, sie will selbst mit Euch 
sprechen. 
Mir taumelten alle Sinne bei diesen Worten. Ich hatte nur auf einen 
Brief gehofft; nun das! 
Der Alte schien selbst gerührt, als ich ihm stürmisch die Hand drückte, 
Er führte mich nach dem Hause und wie vorgestern durch die Seitentür 
hinein in den Saal des Erdgeschosses. Nur waren heut alle Läden und 
Vorhänge geöffnet, um das Abendrot einzulassen; zwei Sessel standen 
dem Kamin gegenüber, und von dem einen erhob sich, als wir eintraten, 
die geliebte Gestalt des Mädchens und tat einige Schritte mir entgegen. 
Sie hatte ein Buch in der Hand, in dem ich meinen Brief stecken sah. 
Ihre reichen Haare waren aufgebunden und mit einem schwarzen 
Samtband durchzogen. Auf ihrer Brust sah ich wieder mein Medaillon. 
Fabio, sagte sie, mach die Tür nach dem Garten auf und bleib auf der 
Terrasse, für den Fall, daß ich dir etwas aufzutragen hätte. 
Der Alte verneigte sich ehrerbietig und tat, was sie ihn geheißen hatte. 
Währenddessen standen wir uns unbeweglich gegenüber, und ich 
konnte vor Herzklopfen kein Wort hervorbringen. 
Ihr Blick ruhte mit unerschütterlichem Ernste, halb fragend, halb 
staunend, auf meinen Augen. Endlich schien sie sich gefaßt zu haben 
und klar zu wissen, was ihr noch eben rätselhaft gewesen war. Sie 
reichte mir die Hand, die ich rasch ergriff, aber nicht an meine Lippen 
zu drücken wagte. 
Komm, sagte sie, und setz dich. Ich habe dir viel zu sagen. Siehst du 
das Bild? Das ist meine liebe Mutter, die ist lange tot. Als ich deinen
Brief gelesen hatte, hab' ich mich hierher gesetzt und sie gefragt, was 
ich dir antworten sollte. Dann schien mir's, als ob sie zu nichts ihre 
Zustimmung geben könnte, als zu der Wahrheit. Und die Wahrheit ist, 
daß ich, seit ich dich damals im Wagen gesehn, keinen anderen 
Gedanken gehabt habe als an dich, und daß ich bis an meinen Tod nicht 
aufhören werde, an dich zu denken. 
Ich wußte nicht, wie mir geschah, als ich diese schlichten Worte hörte. 
Ich stürzte nieder neben ihrem Sessel, ergriff ihre beiden Hände und 
bedeckte sie mit Küssen und Tränen. 
Warum weinst du nun? sagte sie und suchte mich aufzuheben. Bist du 
nicht glücklich? Ich bin es. Ich habe schon viel Schmerzen gehabt, aber 
in diesem Augenblick ist alles ausgelöscht; ich weiß nur, daß du bei 
mir bist und ich bei dir, und daß ich nun nie mehr unglücklich werden 
kann. 
Sie stand auf und ich riß mich in die    
    
		
	
	
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