wird. 
Da stand unter einem Felsblock ihr kleines Haus, auf dessen 
steinbeschwerten Schindeln eine große Steinbrech blühte, jene Blume,
von der die Sage der Aelpler behauptet, daß sie nur auf den Dächern 
wachse, unter denen der Friede wohne. Freundlich schauten die kleinen 
Fenster, vor denen Stöcke roter Geranien prangten, gegen das Dorf. 
»Ja, die Wildheuerfränzi versteht sich auf Blumen.« So sprach man im 
Dorf. »Blumen und Geschichten sind ihr Sonnenschein.« 
Erschöpft ließ Vroni die Kraxe auf die Bank vor dem Felsblock sinken, 
auch Josi stellte die seine mit einem Ausruf der Erleichterung ab. 
Unter der Thüre erschien die Mutter, die Wildheuerfränzi, selbst in 
ihren abgetragenen Kleidern eine hübsche Frau, von kräftigem Wuchs, 
vollem, üppigem dunklem Haar, offenen Zügen und jenen großen, 
blauen, vielsagenden Augen, die Vroni von ihr geerbt hatte. 
»Da seid ihr ja,« sagte sie erfreut, Josi aber rief: »Mutter, eine 
Neuigkeit, die Wildleutlawine kommt!« 
Eine geraume Weile später sah man den Presi mit seinem Fuhrwerk 
gegen das Dorf fahren. 
 
II. 
Der Gasthof zum Bären war ein Altertum des Dorfes St. Peter. Die 
Ueberlieferung berichtete, das aristokratische Haus sei, als noch ein 
Saumweg über die damals weniger vergletscherten Berge nach 
Welschland geführt habe, eine Sust, eine Warenniederlage, gewesen, 
wo die Maultiere gewechselt wurden. Man erzählte sich, die Knappen 
des Bergwerkes hätten, wenn sie ihr Silber und Blei über die Berge 
nach Welschland führten oder von dort mit dem Erlös zurückkamen, im 
Bären hart gezecht, aus silbernen Bechern getrunken, mit silbernen 
Kugeln gekegelt und manchmal sommerlang fröhliche Italienerinnen 
als Spielgefährtinnen in dem Haus einquartiert. 
Nur als Nachklang lebte die Erinnerung an diese üppigen Zeiten in St. 
Peter fort, das Leben ging jetzt in Haus und Dorf den gemessenen 
stillen Gang der einsamen Alpendörfer. Seit zwei- oder dreihundert
Jahren stand das Bergwerk still; so glänzend, wie es die Sage schilderte, 
mochte das Knappenleben nie gewesen sein. Das Schmelzhaus war 
eine Ruine und der alte Paßweg nach Welschland mit seinem Verkehr 
war verschollen, an den Erzreichtum der Gegend erinnerten nur noch 
die schönen Drusen und Gesteinsblüten, die man da und dort als 
Schmuck hinter den Fenstern der Wohnungen sah. 
Für den vielhundertjährigen Bestand des Bären aber sprachen seine 
massive Bauart und die Jagdtrophäen, die am Dachgebälk befestigt 
waren: gebleichte Steinbock- und Wolfsschädel, besonders ein 
eingetrocknetes mumienhaftes Bärenhaupt, das als Wahrzeichen des 
Hauses an einer Kette gegen die Thüre und die Freitreppe hinunterhing, 
die mit schönem eisernem Geländer zum Eingang emporführte. Die 
weißgrauen Zähne des Hauptes waren vermorscht und verwittert; die 
Jagdzeichen reichten wohl bis in die Zeit der Venediger zurück, denn 
so lange schon gab es im Glotterthal weder Bär noch Wolf, und seit 
dem Anfang dieses Jahrhunderts sind auf den Felsen und Firnfeldern 
der Krone die Steinböcke ausgestorben. 
Ueber dem Fenster neben der Treppe prangte als eine neuere Zuthat am 
alten Bau die Inschrift »Postbureau St. Peter« und der eidgenössische 
Postschild. 
Die stattlichen Wirtschaftsräume des Bären befanden sich im ersten 
Stock; helles Arvengetäfel, aus dem die dunkeln Astringe wie Augen 
schauten, und alte geschnitzte Wappenzier an den Decken fesselten den 
Eintretenden. Der Hauptschmuck der großen Stube war ein alter 
Leuchter, der ein Meerweibchen darstellte, dessen Leib in ein 
Hirschgeweih auslief. 
Am Eichentisch unter dem Leuchter saßen der Bärenwirt Peter 
Waldisch und Hans Zuensteinen, der Garde[4]. 
[4] Garde (französisch %garde%, Hüter) nennt man in den Thälern, wo 
»Wässerwasserfuhren« bestehen, dasjenige Gemeinderatsmitglied, das 
die Aufsicht über die Wasserleitung hat. 
Sie prüften das Fäßchen Eigengewächs, das jener gestern in Hospel
draußen geholt hatte. 
»Wie Feuer, meiner Treu!« sagte der rauhbärtige Garde, das eine Auge 
zukneifend und durch das erhobene Glas blinzelnd, in dem der 
Weißwein sonngolden erglänzte -- »aber, aber, Presi,« seine Stimme 
wurde plötzlich sehr ernst, »die Abmachung mit Seppi Blatter ist nichts. 
Wenn der ganze übrige Gemeinderat dafür ist, so bin ich dagegen. Man 
dürfte ja Fränzi, Vroni und Josi nicht mehr ins Auge sehen. Sagt mir 
einmal ehrlich, wie stark hat bei seiner Unterschrift der Hospeler die 
Hand geführt?« 
Der Presi und Bärenwirt, der den rauhen untersetzten Garden um 
Kopfeslänge überragte und neben ihm wie ein rechter Bauernaristokrat 
erschien, lächelte verlegen und rückte auf dem Stuhl. 
»Wollt Ihr lieber das Los entscheiden lassen?« fragte er lauernd. 
Der Garde knurrte wieder, nach einer Weile fragte er aufs neue: »War 
Seppi nüchtern?« 
»Man macht keinen Handel, es ist ein Glas Wein zur Ermutigung dabei. 
Ich war grad in guter Laune, ich ließ ein paar Flaschen Hospeler fließen, 
Seppi aber war ziemlich nüchtern.« 
Der Garde schüttelte bedächtig den Kopf, in den starken Furchen seines 
breiten Gesichtes spiegelte sich Mißbilligung und Sorge, erst nach einer 
Weile sagte er: »Das Ding ist nichts.« 
Dem Presi lag augenscheinlich daran, dem Gespräch eine andere 
Wendung zu geben, lachend rief er: »Zum Wohl, Garde!« Und als nun 
die Gläser zusammenklingelten, fuhr er fort: »Warum ich gestern so 
hellauf war, Seppi Blatter, Bälzi und dem Bäliälpler ein Glas vom 
guten Hospeler schenkte,    
    
		
	
	
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