Aecker und Wiesen Hospels und der 
fünf Dörfer, die um den Flecken liegen. 
[1] helig ist die ältere Sprachform für »heilig«. 
Wenn man drei Stunden bergauf und ebenhin über schmale 
Mattenstreifen gegangen ist, kommt man zu der alten verwitterten 
Kapelle der Lieben Frau, wo der Weg auf einem vielhundertjährigen 
vermoosten Brückenbogen über die Schlucht nach dem Schmelzwerk 
St. Peter hinüberspringt. 
Um die halb zerfallenen Gebäude des ehemaligen Bergwerkes dehnt 
sich des Teufels Garten. 
Auf Hügeln alter verglaster Schlacken blüht der rote Mohn, die 
Königskerze reckt ihre goldigen Blütenschäfte, das Singrün spinnt 
seine blauen Blumenketten um die Scherben, allerlei blühender Wust 
und viele Brennesseln wuchern zwischen ihnen empor, stahlblaue 
Fliegen und Schmetterlinge gaukeln über die wilde Pracht. 
An einem verkrüppelten Ahorn stand an jenem Nachmittage, wo Peter 
Waldisch, der Präsident von St. Peter, durchs Thal fuhr, eine 
Mauleselin angebunden. Sie schüttelte den Kopf, scharrte mit dem 
linken Vorderfuß und erhob trotz dem Schatten, den ihr die Ruine 
spendete, von Zeit zu Zeit ein klägliches Geschrei. Dann tauchte aus 
der wilden Ueppigkeit der bunt bekränzte Schwarzkopf eines 
Mädchens auf, das auf den bloßen braunen Armen ein übermächtiges 
Bündel von Blumen trug. »Ich komme, Galta, ich komme,« rief sie 
dem Tier begütigend zu, dann verschwand die ganze Gestalt wieder in 
den Wogen des Sommerwustes, bis sie so viel Blumen an die Brust 
drückte, als ihr Arm fassen konnte. Da watete sie endlich aus der 
Wirrnis. Ihr kurzes Röckchen schützte sie nur bis wenig unter die 
Kniee, aber gewandt wie ein Wiesel wich sie den vielen 
Brennesselbüschen aus, die ihre nackten Füße und Waden bedrohten. 
Eine lebendig gewordene Bronzefigur, Gesicht, Arme, Füße
sonnengebräunt, war sie fast so wild wie die Wildnis, die sie 
durchschritt, im Kopf standen ein paar feurige Augen, wie die einer 
Zigeunerin; doch sah man dem Mädchen gleich an, daß es kein 
Bauernkind war, dafür war alles an ihr zu zart und zu fein. 
Sie eilte mit leichten Füßen über die Brücke zu der alten Kapelle, 
kniete nieder und steckte ihre Blumen in das hölzerne Vorgitter des 
kleinen Gotteshauses, so daß es bekränzt war wie für ein Fest. 
»Das wird die Mutter Gottes freuen!« sagte sie, ihr Werk betrachtend. 
Plötzlich horchte sie neugierig und verwundert in die blaue warme Luft. 
Ein Rollen wie von fernem Gewitter ging durch die Stille des 
Nachmittags. Es war Lawinendonner, den die Luft von den Bergen 
herniedertrug. Am schmalen Himmelsband über dem Thal waren weiße 
Föhnstriche hingeweht, die Schläge der Frühsommerlawinen und 
kleinen Gletscherbrüche lebhafter denn sonst. 
Jetzt blickte sie von der Kapelle den Weg hinab und legte die Hand 
zum Schutz gegen die brennende Sonne über die dunklen Augen. 
Der Vater kam noch nicht, dafür zwei Kinder mit Tragkraxen, beide 
mit Bergstöcken in der Hand. 
»Vroni! Josi!« Mit lebhaftem Ausbruch der Freude sprang sie ihnen 
entgegen. 
»Hast schwer, Vroni? Hast schwer, Josi? Hättet ihr die Last meinem 
Vater auf das Wägelchen gegeben, er ist heute nach Hospel gefahren, 
ich erwarte ihn hier mit Vorspann.« 
Josi schüttelte nur den Kopf. Die beiden Geschwister stellten ihre 
Kraxen auf die hölzerne Bank vor der Kapelle, wischten sich den 
Schweiß aus der Stirn und setzten sich gelassen hin. Binia, die 
Blumensucherin, betrachtete die beiden wohlgefällig. Vroni, unter 
deren niedrigem altem Strohhut das Goldhaar hervorquoll und in 
glänzenden Fäden um die geröteten Wangen flog, war nur ein Jahr, Josi, 
der kräftige Bursch, der einen ähnlichen Hut trug, zwei Jahre älter als
sie. Und sie war zwölf. 
»Sechzig Pfund hab' ich,« sagte Josi, die Beine schlenkernd, an denen 
die schwergenagelten Holzschuhe klapperten, »die Vroni hat vierzig, 
ob so viel Mehl wohl reicht bis zur Ernte?« 
»Es wird schon langen müssen, aber dann wird's gut, das Aeckerchen 
trägt dieses Jahr viel Korn,« erwiderte Vroni hausmütterlich froh. 
Da ging wieder ein langhallender Donner durch die Ruhe des Thales. 
Josi sprang auf: »Ja, es ist doch wahr. Die Wildleutlaue geht wieder los! 
Sieben Jahr ist der Gletscher zurückgegangen und sieben Jahr 
gewachsen, das letzte Jahr war ein schlechter Sommer und jetzt ist ein 
guter -- da bricht der Eissturz los!« 
Binia ließ die Schwarzaugen funkeln, Vroni mahnte ab: »Sage nichts 
Sündiges, schau' doch in die Kapelle, wie viel Marterkreuze von denen 
an den Wänden stehen, die in die Felsen haben steigen müssen, wenn 
das helige Wasser von der Wildleutlawine zerstört worden ist.« 
Die Kinder warfen einen schaudernden Blick in die Dämmerung der 
Kapelle. Ihre Wände waren mit hölzernen und eisernen Täfelchen ganz 
bedeckt, auf denen die Namen von Verunglückten und fromme Sprüche 
standen. 
»O, wie traurig,« sagte Vroni, »da ist es kein Wunder, wenn die Leute 
bei uns nicht so laut singen und lachen mögen, wie draußen im großen 
Thal und alle so still und ernst sind.« 
Aber die anderen hatten keine Lust, ihren Betrachtungen zu folgen. 
»Du, Vroni, erzähl' uns doch wieder einmal die Geschichte von den 
heligen Wassern, du erzählst sie so schön,« schmeichelte    
    
		
	
	
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