wohl!
Schirm dich Gott, du schöner Wald!
35. NACHTS
Ich stehe in Waldesschatten
Wie an des Lebens Rand,
Die Länder
wie dämmernde Matten,
Der Strom wie ein silbern Band.
Von fern nur schlagen die Glocken 5 Über die Wälder herein,
Ein
Reh hebt den Kopf erschrocken
Und schlummert gleich wieder ein.
Der Wald aber rühret die Wipfel
Im Traum von der Felsenwand. 10
Denn der Herr geht über die Gipfel
Und segnet das stille Land.
36. FRÜHLINGSDÄMMERUNG
In der stillen Pracht,
In allen frischen Büschen und Bäumen
Flüstert's wie Träumen
Die ganze Nacht.
Denn über den
mondbeglänzten Ländern 5 Mit langen weißen Gewändern
Ziehen die
schlanken
Wolkenfrau'n wie geheime Gedanken,
Senden von den
Felsenwänden
Hinab die behenden 10 Frühlingsgesellen, die hellen
Waldquellen,
Die's unten bestellen
An die duft'gen Tiefen,
Die
gerne noch schliefen.
Nun wiegen und neigen in ahnendem
Schweigen 15 Sich alle so eigen
Mit Ähren und Zweigen,
Erzählen's den Winden,
Die durch die blühenden Linden
Vorüber
den grasenden Rehen 20 Säuselnd über die Seen gehen,
Daß die
Niren verschlafen auftauchen
Und fragen,
Was sie so lieblich
hauchen--
Wer mag es wohl sagen? 25
37. ELFE
Bleib bei uns! Wir haben den Tanzplan im Tal
Bedeckt mit
Mondesglanze,
Johanneswürmchen erleuchten den Saal,
Die
Heimchen spielen zum Tanze.
Die Freude, das schöne leichtgläubige Kind, 5 Es wiegt sich in
Abendwinden:
Wo Silber auf Zweigen und Büschen rinnt,
Da wirst
du die schönste finden!
38. ABENDLANDSCHAFT
Der Hirt bläst seine Weise,
Von fern ein Schuß noch fällt,
Die
Wälder rauschen leise
Und Ströme tief im Feld.
Nur hinter jenem Hügel 5 Noch spielt der Abendschein--
O hätt' ich,
hätt' ich Flügel,
Zu fliegen da hinein!
39. DIE NACHT
Nacht ist wie ein stilles Meer,
Lust und Leid und Liebesklagen
Kommen so verworren her
In dem linden Wellenschlagen.
Wünsche wie die Wolken sind, 5 Schiffen durch die stillen Räume,
Wer erkennt im lauen Wind,
Ob's Gedanken oder Träume?--
Schließ' ich nun auch Herz und Mund
Die so gern den Sternen klagen:
10 Leise doch im Herzensgrund
Bleibt das linde Wellenschlagen.
40. SEHNSUCHT
Es schienen so golden die Sterne,
Am Fenster ich einsam stand
Und
hörte aus weiter Ferne
Ein Posthorn im stillen Land.
Das Herz mir
im Leib entbrennte, 5 Da hab' ich mir heimlich gedacht:
Ach, wer da
mitreisen könnte
In der prächtigen Sommernacht!
Zwei junge Gesellen gingen
Vorüber am Bergeshang. 10 Ich hörte im
Wandern sie singen
Die stille Gegend entlang:
Von schwindelnden
Felsenschlüften,
Wo die Wälder rauschen so sacht,
Von Quellen,
die von den Klüften 15 Sich stürzen in die Waldesnacht.
Sie sangen von Marmorbildern,
Von Gärten, die überm Gestein
In
dämmernden Lauben verwildern,
Palästen im Mondenschein, 20 Wo
die Mädchen am Fenster lauschen,
Wann der Lauten Klang erwacht,
Und die Brunnen verschlafen rauschen
In der prächtigen
Sommernacht.
41. DAS ZERBROCHENE RINGLEIN
In einem kühlen Grunde
Da geht ein Mühlenrad,
Mein' Liebste ist
verschwunden.
Die dort gewohnet hat.
Sie hat mir Treu' versprochen, 5 Gab mir ein'n Ring dabei,
Sie hat die
Treu' gebrochen,
Mein Ringlein sprang entzwei.
Ich möcht' als Spielmann reisen
Weit in die Welt hinaus, 10 Und
singen meine Weisen,
Und gehn von Haus zu Haus.
Ich möcht' als Reiter fliegen
Wohl in die blut'ge Schlacht,
Um stille
Feuer liegen 15 Im Feld bei dunkler Nacht.
Hör ich das Mühlrad gehen:
Ich weiß nicht, was ich will--
Ich
möcht' am liebsten sterben,
Da wär's auf einmal still. 20
42. FRÜHE
Im Osten graut's, der Nebel fällt,
Wer weiß, wie bald sich's rühret!
Doch schwer im Schlaf noch ruht die Welt,
Von allem nichts
verspüret.
Nur eine frühe Lerche steigt, 5 Es hat ihr was geträumet
Vom Lichte,
wenn noch alles schweigt,
Das kaum die Höhen säumet.
[Illustration: Endymion, by Moritz von Schwind]
43. NACHTS
Ich wandre durch die stille Nacht,
Da schleicht der Mond so heimlich
sacht
Oft aus der dunklen Wolkenhülle,
Und hin und her im Tal
Erwacht die Nachtigall, 5 Dann wieder alles grau und stille.
O wunderbarer Nachtgesang:
Von fern im Land der Ströme Gang,
Leis Schauern in den dunklen Bäumen--
Wirrst die Gedanken mir, 10
Mein irres Singen hier
Ist wie ein Rufen nur aus Träumen.
44. MONDNACHT
Es war, als hätt' der Himmel
Die Erde still geküßt,
Daß sie im
Blütenschimmer
Von ihm nun träumen müßt'.
Die Lust ging durch die Felder, 5 Die Uhren wogten sacht,
Es
rauschten leis die Wälder,
So sternklar war die Nacht.
Und meine Seele spannte
Weit ihre Flügel aus, 10 Flog durch die
stillen Lande,
Als flöge sie nach Haus.
FRIEDRICH RÜCKERT
45. AUS DER JUGENDZEIT
Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit
Klingt ein Lied mir immerdar;
O wie liegt so weit, o wie liegt so weit,
Was mein einst war!
Was die Schwalbe sang, was die Schwalbe sang, 5 Die den Herbst und
Frühling bringt;
Ob das Dorf entlang, ob das Dorf entlang
Das jetzt
noch klingt?
"Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,
Waren Kisten und
Kasten schwer; 10 Als ich wieder kam, als ich wieder kam,
War alles
leer."
O du Kindermund, o du Kindermund,
Unbewußter Weisheit froh,
Vogelsprachekund, vogelsprachekund 15 Wie Salomo!
O du Heimatflur, o du Heimatflur,
Laß zu deinem heil'gen Raum
Mich noch einmal nur, mich noch einmal nur
Entfliehn im Traum! 20
Als ich Abschied nahm, als ich Abschied nahm,
War die Welt mir
voll so sehr;
Als ich wieder kam, als ich wieder kam,
War alles leer.
Wohl die Schwalbe kehrt, wohl die Schwalbe kehrt, 25 Und

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