Zum wilden Mann

Wilhelm Raabe
Zum wilden Mann, by Wilhelm
Raabe

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Title: Zum wilden Mann
Author: Wilhelm Raabe
Release Date: July 23, 2007 [EBook #22123]
Language: German
Character set encoding: ISO-8859-1
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WILDEN MANN ***

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Zum wilden Mann.
Eine Erzählung von Wilhelm Raabe.

Mit dem Bildnis des Verfassers.
Leipzig
Druck und Verlag von Philipp Reclam jun.

Erstes Kapitel.
Sie machten weit und breit ihre Bemerkungen über das Wetter, und es
war wirklich ein Wetter, über das jedermann seine Bemerkungen laut
werden lassen durfte, ohne Schaden an seiner Reputation zu leiden. Es
war ein dem Anscheine nach dem Menschen außergewöhnlich
unfreundlicher Tag gegen das Ende des Oktober, der eben in den
Abend oder vielmehr die Nacht überging. Weiter hinauf im Gebirge
war schon am Morgen ein gewaltiger Wolkenbruch niedergegangen,
und die Vorberge hatten ebenfalls ihr Teil bekommen, wenn auch nicht
ganz so arg als Volk, Vieh, Wald, Fels, Berg und Thal weiter oben. Sie
waren unter den Vorbergen nordwärts vollkommen zufrieden mit dem,
was sie erhalten hatten, und hätten gern auf alles weitere verzichtet,
allein das Weitere und Übrige kam, und sie hatten es hinzunehmen, wie
es kam. Ihre Anmerkungen durften sie freilich darüber machen;
niemand hinderte sie.
Es regnete stoßweise in die nahende Dunkelheit hinein, und stoßweise
durchgellte ein scharfer, beißender Nordwind, ein geborener Isländer
oder gar Spitzbergener, aus der norddeutschen Tiefebene her die Lüfte,
die Schlöte und die Ohren und ärgerte sich sehr an dem Gebirge, das er,
wie es schien, ganz gegen seine Vermutung auf seinem Wege nach
Süden gefunden hatte. Er war aber mit der Nase darauf gestoßen oder
vielleicht auch darauf gestoßen worden und heulte gleich einem bösen
Buben, der gleichfalls mit dem erwähnten Glied auf irgend etwas
aufmerksam gemacht und hingewiesen wurde. Ohne alle
Umschreibung: der Herbstabend kam früh, war dunkel und recht
stürmisch; -- wer noch auf der Landstraße oder auf den durchweichten
Wegen zwischen den nassen Feldern sich befand, beeilte sich, das
Wirtshaus oder das Haus zu erreichen; und wir, das heißt der Erzähler

und die Freunde, welche er aus dem deutschen Bund in den
norddeutschen und aus diesem in das neue Reich mit sich
hinübergenommen hat, -- wir beeilen uns ebenfalls, unter das
schützende Dach dieser neuen Geschichte zu gelangen.
Der Abend wird gemeiniglich eher Nacht, als man für möglich hielt; so
auch diesmal.
Es ist recht sehr Nacht geworden. Wieder und wieder fegt der Regen in
Strömen von rechts nach links über die mit kahlen Obstbäumen
eingefaßte Straße. Wir halten, kurz atmend, die Hand über die Augen,
uns nach einem Lichtschein in irgend einer Richtung vor uns umsehend.
Es müssen da langgestreckte, in ihrer Länge kaum zu berechnende
Dörfer vor uns, dem Gebirge zu, liegen, und der geringste
Lampenschimmer südwärts würde uns die tröstende Versicherung
geben, daß wir uns einem dieser Dörfer näherten. Vergeblich!
Pferdehufen, Rädergeroll, Menschentritte hinter uns? Wer weiß?
Wir eilen weiter, und plötzlich haben wir das, was wir so sehnlich
herbeiwünschen, zu unserer Linken dicht am Pfade. Da ist das Licht,
welches durch eine Menschenhand angezündet wurde. Eine plötzliche
Wendung des Weges um dunkles Gebüsch bringt es uns überraschend
schnell vor die Augen, und wir stehen vor der Apotheke »zum wilden
Mann.«
Ein zweistöckiges, dem Anscheine nach recht solides Haus mit einer
Vortreppe liegt zur Seite der Straße vor uns, ringsum rauschende,
triefende Bäume -- gegenüber zur Rechten der Straße ein anderes Haus
-- weiter hin, durch schwächeren Lichterschein sich kennzeichnend,
wieder andere Menschenwohnungen: der Anfang einer dreiviertel
Stunde gegen die Berge sich hinziehenden Dorfgasse. Das Dorf besteht
übrigens nur aus dieser einen Gasse; sie genügt aber dem, der sie zu
durchwandern hat, vollkommen; und wer sie durchwanderte, steht
gewöhnlich am Ausgange mehrere Augenblicke still, sieht sich um und
vor allen Dingen zurück und äußert seine Meinung in einer je nach dem
Charakter, Alter und Geschlecht vermiedenen Weise. Da wir den
Ausgang oder Eingang jedoch aber erst erreichen, sind wir noch nicht

hierzu verpflichtet. Wir suchen einfach, wie gesagt, vorerst unter Dach
zu kommen und eilen rasch die sechs Stufen der Vortreppe hinauf; der
Erzähler mit aufgespanntem Schirm von links, der Leser, gleichfalls
mit aufgespanntem Schirm, von rechts. Schon hat der Erzähler die Thür
hastig geöffnet und zieht sich den atemlosen Leser nach, und schon hat
der Wind dem Erzähler den Thürgriff wieder aus der Hand gerissen und
hinter ihm und dem Leser die Thür zugeschlagen, daß das ganze Haus
widerhallt wir sind darin, in
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