J. W. v. Goethes Biographie | Page 2

H. Doering
und zu mir gesagt: Ei, schäme dich, alte

Räthin! Hast gute Tage genug gehabt in der Welt, und den Wolfgang
dazu; mußt, wenn die bösen kommen, nun auch vorlieb nehmen, und
kein so übel Gesicht machen. Was soll das mit dir vorstellen, daß du so
ungeduldig und garstig bist, wenn der liebe Gott dir ein Kreuz auflegt?
Willst du denn immer auf Rosen gehen, und bist über's Ziel, bist über
siebenzig Jahre hinaus? Schauen's, so hab' ich zu mir selbst gesagt, und
sogleich ist ein Nachlaß gekommen und ist besser geworden, weil ich
selbst nicht mehr so garstig war." Ihren Gatten überlebte sie sechs und
zwanzig Jahre. Sie starb zu Frankfurt am Main den 13. September
1808.
Manche ihrer Eigenschaften waren auf Goethe übergegangen. Er war
ein munterer Knabe, aufgeweckt zu allerlei muthwilligen Streichen.
Durch seine Spielkameraden, die Söhne des dem elterlichen Hause
gegenüber wohnenden Schultheißen v. Ochsenstein, ließ er sich einst
verleiten, mehrere Schüsseln und Töpfe, mit denen er gespielt, von
einem obern Stockwerk auf die Straße zu werfen, und freute sich
herzlich über das dadurch verursachte Geräusch. Einen günstigen
Einfluß auf seine früh erwachte Wißbegierde, die ihn zu mancherlei
Fragen über die verschiedenartigsten Gegenstände antrieb, hatte seine
Großmutter väterlicher Seite, Cornelia, eine sanfte, wohlwollende Frau,
die ihren Enkel gern belehrte.
Früh entwickelte sich in dem Knaben der Sinn für die Schönheiten der
Natur, die er besonders in ihren erhabenen Erscheinungen, bei
aufsteigenden Gewittern gern betrachtete. Sein Lieblingsaufenthalt im
elterlichen Hause war ein hochgelegenes Zimmer, von welchem er über
die Stadtmauern und Wälle die schöne und fruchtbare Ebne nach
Höchst hin überschauen konnte. Oft ergötzte ihn dort der Anblick der
untergehenden Sonne. Eine ernste ahnungsvolle Gemüthsstimmung, die
ihn, seines lebhaften Temperaments ungeachtet, oft in seinem
Knabenalter ergriff, weckte in ihm das Gefühl der Einsamkeit. Von der
Furcht, die ihn bei eintretendem Abenddunkel in dem düstern,
winkelhaften elterlichen Hause ergriff, suchte ihn sein Vater frühzeitig
zu heilen. Mit umgewandtem Schlafrock, wie eine Spukgestalt, trat er
dem Knaben und seiner Schwester Cornelia entgegen, wenn sie aus
Furcht ihr einsames Schlafzimmer verließen und sich in die Kammern
des Gesindes flüchteten. Ein wirksameres Mittel wandte Goethe's
Mutter an, indem sie ihren Kindern, wenn sie Nachts ihre Furcht

überwänden, Obst und allerlei Näschereien versprach.
Die Betrachtung von Gemälden und Prospecten, die sein Vater aus
Italien mitgebracht hatte, und ein Puppenspiel, mit welchem seine
Großmutter ihn an einem Weihnachtsabend überraschte, beschäftigten
in mehrfacher Weise Goethe's Einbildungskraft. Der Unterricht, den er
bisher im elterlichen Hause genossen, ward geregelter, als sein Vater
ihn in die Stadtschule schickte. Aus der strengen Zucht des elterlichen
Hauses sah er sich in einen Freiheitskreis versetzt, der mit seinen
Neigungen harmonirte. Seine an Alterthümern und Merkwürdigkeiten
reiche Vaterstadt und ihre Umgegend lernte Goethe auf mancherlei
Streifzügen kennen, die er mit einigen Schulkameraden unternahm. An
der Mainbrücke fesselte seine Aufmerksamkeit das emsige Treiben der
Handelswelt mit ihren den Strom auf- und abwärts segelnden Schiffen.
Dann und wann verwandte er auch einige Kreuzer zur Ueberfahrt nach
Sachsenhausen. Von besonderem Interesse war für ihn das Rathhaus,
der sogenannte Römer, mit seinen gewölbten Hallen und besonders
dem zur Wahl und Krönung des Kaisers dienenden Prunkzimmer, das
mit den Brustbildern Karls des Großen, Rudolphs von Habsburg, Karls
IV., Günthers von Schwarzburg und anderen hohen Häuptern geziert
war.
Von der Außenwelt wandte sich Goethe's Blick wieder nach dem
elterlichen Hause zurück, das durch einen bedeutenden Bau erweitert
und verschönert worden war. Seine Wißbegierde lockte ihn bisweilen
in seines Vaters Bibliothek, die außer mehreren juristischen Werken,
auch Schriften über Alterthumskunde, Reisebeschreibungen und
einzelne Dichter enthielt. Es waren jedoch, außer Virgil, Horaz u.a.
römischen Classikern, größtenteils italienische Poeten, wie Tasso,
Ariost u. A., von denen der Knabe, bei seiner Unkenntniß der
italienischen Sprache keinen Gebrauch machen konnte. Einen immer
neuen Genuß gewährten ihm die Gemälde und Landschaften von
Trautmann, Schütz, Junker, Seekatz u.a. Frankfurter Künstlern. Diese
Gemälde, früher hie und da in der elterlichen Wohnung an mehreren
Orten zerstreut, waren von Goethe's Vater bei dem Umbau seines
Hauses in einem besondern Zimmer vereinigt worden. Goethe's Sinn
für die Kunst ward zuerst geweckt durch die Betrachtung jener Werke.
Nur durch anhaltenden Fleiß und Wiederholung des Gelernten war
Goethe's Vater zum Besitz mannigfacher Kenntnisse gelangt. Um so

mehr schätzte er das angeborne Talent seines Sohnes, der durch eine
schnelle Auffassungsgabe und ein treffliches Gedächtniß bald dem von
seinem Vater und seinen Lehrern ihm ertheilten Unterricht entwachsen
war. Den grammatischen Regeln, mit ihren mannigfachen Ausnahmen,
vermochte er zwar keinen sonderlichen Geschmack abzugewinnen.
Doch machte er sich mit den Sprachformen und rhetorischen
Wendungen schnell bekannt. Sein heller Kopf zeigte sich vorzüglich in
der raschen Entwicklung von Begriffen. Durch seine schriftlichen
Aufsätze, ihrer Sprachfehler ungeachtet, erwarb er sich im Allgemeinen
seines Vaters Zufriedenheit, und manches kleine Geschenk belohnte
seinen Fleiß. Der Privatunterricht, den er gemeinschaftlich mit
mehreren Knaben seines Alters erhielt, förderte ihn wenig, da die von
seinen
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