IMAGINÄRE BRÜCKEN

Jakob Wasserman
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Imagin?re Brücken, by Jakob Wassermann

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Title: Imagin?re Brücken
Author: Jakob Wassermann
Release Date: November 5, 2005 [EBook #17007]
Language: German
Character set encoding: ISO-8859-1
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JAKOB WASSERMANN
IMAGIN?RE BRüCKEN
STUDIEN UND AUFS?TZE

KURT WOLFF VERLAG / MüNCHEN
Copyright 1921 by Kurt Wolff Verlag A.-G., München Druck von Dietsch & Brückner, Weimar Herbst 1921
Inhaltsverzeichnis
Seite Was ist Besitz? ....................... 5 Faustina .............................. 29 Der Literat ........................... 85 Der Literat als Dilettant ........... 87 Der Literat als Psycholog ........... 95 Der Literat als Tribun .............. 111 Der Literat als Sch?ngeist .......... 124 Der Literat als Apostel ............. 131 Die Frau als Literat ................ 140 Ergebnisse .......................... 145 Die Kunst der Erz?hlung ............... 151

Was ist Besitz?
Geschrieben 1919
Die Zeit erschüttert die Begriffe und wühlt den Boden auf, dem sie entwachsen sind.
Es hebt eine Geschichtsepoche an, in der es sich vor allem darum zu handeln scheint, den Wert, das Ausma? und die Rechtsgrundlagen von dem, was bisher Eigentum hie?, zu revidieren und umzuformen.
Der Anspruch des einzelnen auf sein Gut, den er bisher mit unwiderlegbaren Argumenten verteidigen konnte, ja der geradezu ein Gesellschaftsgesetz war, wird ihm pl?tzlich streitig gemacht mit Gründen, denen, wollte man sie auch nicht gelten lassen, Nachdruck verliehen wird durch Drohung von Gewalt. Gewalt ist nicht zu widerlegen.
So tief hat kein Vorgang der Geschichte in die private Existenz gegriffen, da? der Bürger, das Mitglied einer Gemeinschaft, die nur zum Schutz ihrer selbst besteht, von einem andern Teil dieser Gemeinschaft in seinen durch Gewohnheit, Brauch und Gesetz geheiligten Lebensbedingungen entrechtet werden soll, und da? ihm zugemutet wird, die anscheinende Willkür und Unbill nicht blo? geduldig zu ertragen, sondern auch eine Notwendigkeit, eine neue, bessere Ordnung darin zu erblicken.
Hier ist nicht die Absicht, diese neue Ordnung gegen die alte wissenschaftlich zum Vergleich zu stellen; dazu fehlt mir die Befugnis und die Kompetenz. Es soll auch nicht von Schlagworten des Tages die Rede sein: Imperialismus, Sozialismus, Kapitalismus, Kommunismus; sie haben die K?pfe genug verwirrt, die Leidenschaften genug erregt. Ich m?chte das Wesen des Besitzes untersuchen, seine Wirkungen nach verschiedenen Seiten, auf das innere und auf das ?u?ere Leben, das soziale und das individuelle, seine Legitimit?t und seine Sch?dlichkeit, seine Fruchtbarkeit und seine Unnatur.
I
Wer darbt, dessen Seele wird von Bitterkeit erfüllt gegen den, der überflu? hat. Es gibt Versto?ene, die durch keine Anstrengung dahin gelangen k?nnen, wo die Lieblinge des Glückes sich am ersten Tage befinden. So entsteht in Hunderttausenden, Millionen Gemütern Bitterkeit, Ha?, Neid und Auflehnung.
Für den, der darbt, ist das geringste Mehr, das der andere hat, schon überflu?. Wer nur ein einziges Hemd besitzt, für den ist der Besitzer von zwei Hemden ein mit Glücksgütern Gesegneter. Wer sich nicht sattessen kann, für den ist der sorgenvollste Satte ein Kr?sus. Wer kein Bett sein eigen nennt, in dem er schlafen kann, für den ist der auf dem Strohsack Ruhende beneidenswert.
Die gegenw?rtige Gesellschaftsordnung hat so unendlich viele Abstufungen der Armut, wie sie Abstufungen des Besitzes hat. Zwischen dem in einer Tonne oder Kiste verborgenen blinden Passagier im Frachtraum eines Luxusdampfers und dem amerikanischen Nabob in der ersten Kajüte mit Bade- und Speisesalon dehnt sich eine Skala aus, auf der alle Leidenschaften, Begierden, Niedrigkeiten, Verbrechen, alle Sehnsucht und Verzweiflung und fast alle ausdenkbaren Schicksale der modernen Welt spielen.
Irgendwo in der Mitte dieser Skala ist eine scharf trennende Linie. Sie scheidet diejenigen, die ihre Lebensnotdurft nicht stillen k?nnen, von denen, die in der Befriedigung ihrer natürlichen Bedürfnisse eine selbstverst?ndliche Voraussetzung erblicken. An dieser Linie teilt sich die moderne Welt in zwei Lager. An ihr wütet der soziale Kampf in seiner ganzen Furchtbarkeit.
Da aber die Gesellschaftsordnung, wie sie heute besteht, ein Jahrhunderte, vielleicht Jahrtausende altes Gefüge ist, so mu? man sich fragen, weshalb das eine Lager der Menschheit in seinem Jammer, seiner Bedrückung, seinem Leiden die bevorzugte Situation des andern so lange erduldet hat, ohne einen nachhaltigen, allgemeinen, gewaltsamen Eingriff vorzunehmen. Ein Zustand, der so offensichtlich den Charakter der Ungerechtigkeit an sich tr?gt, mu?te doch umsomehr zum Umsturz herausfordern, als die zahlenm??ige übermacht zu allen Zeiten auf Seite der Entrechteten lag. Waren sie nicht genug durchdrungen von ihrem Recht, dem Recht auf Brot und W?rme, auf Luft und Licht? Hat man ihnen Schaustellungen des Prunkes erspart? Wu?ten sie nicht, was erreichbar war? Kannten sie nicht die Bevorzugten in ihrem übermut und ihrer H?rte? Warum also die Geduld?
Einige werden antworten: darum, weil die Gewalt auf Seite der Reichen war; sie konnten die Gewalt bezahlen, und unter denen, die bezahlt wurden, befanden sich die aus dem feindlichen Lager, die ihre Brüder
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