Heidis Lehr - und Wanderjahre | Page 2

Johanna Spyri
nicht, er ist der Gro?vater, er muss etwas tun, ich habe das Kind bis jetzt gehabt, und das kann ich dir schon sagen, Barbel, dass ich einen Platz, wie ich ihn jetzt haben kann, nicht dahinten lasse um des Kindes willen; jetzt soll der Gro?vater das Seinige tun."
"Ja, wenn der w?re wie andere Leute, dann schon", best?tigte die kleine Barbel eifrig; "aber du kennst ja den. Was wird der mit einem Kinde anfangen und dann noch einem so kleinen! Das h?lt's nicht aus bei ihm! Aber wo willst du denn hin?"
"Nach Frankfurt", erkl?rte Dete, "da bekomm ich einen extraguten Dienst. Die Herrschaft war schon im vorigen Sommer unten im Bad, ich habe ihre Zimmer auf meinem Gang gehabt und sie besorgt, und schon damals wollten sie mich mitnehmen, aber ich konnte nicht fortkommen, und jetzt sind sie wieder da und wollen mich mitnehmen, und ich will auch gehen, da kannst du sicher sein."
"Ich m?chte nicht das Kind sein!", rief die Barbel mit abwehrender Geb?rde aus. "Es wei? ja kein Mensch, was mit dem Alten da oben ist! Mit keinem Menschen will er etwas zu tun haben, jahraus, jahrein setzt er keinen Fu? in eine Kirche, und wenn er mit seinem dicken Stock im Jahr einmal herunterkommt, so weicht ihm alles aus und muss sich vor ihm f��rchten. Mit seinen dicken grauen Augenbrauen und dem furchtbaren Bart sieht er auch aus wie ein alter Heide und Indianer, dass man froh ist, wenn man ihm nicht allein begegnet."
"Und wenn auch", sagte Dete trotzig, "er ist der Gro?vater und muss f��r das Kind sorgen, er wird ihm wohl nichts tun, sonst hat er's zu verantworten, nicht ich."
"Ich m?chte nur wissen", sagte die Barbel forschend, "was der Alte auf dem Gewissen hat, dass er solche Augen macht und so mutterseelenallein da droben auf der Alm bleibt und sich fast nie blicken l?sst. Man sagt allerhand von ihm; du wei?t doch gewiss auch etwas davon, von deiner Schwester, nicht, Dete?"
"Freilich, aber ich rede nicht; wenn er's h?rte, so k?me ich sch?n an!"
Aber die Barbel h?tte schon lange gern gewusst, wie es sich mit dem Alm-?hi verhalte, dass er so menschenfeindlich aussehe und da oben ganz allein wohne und die Leute immer so mit halben Worten von ihm redeten, als f��rchteten sie sich, gegen ihn zu sein, und wollten doch nicht f��r ihn sein. Auch wusste die Barbel gar nicht, warum der Alte von allen Leuten im D?rfli der Alm-?hi genannt wurde, er konnte doch nicht der wirkliche Oheim von den s?mtlichen Bewohnern sein; da aber alle ihn so nannten, tat sie es auch und nannte den Alten nie anders als ?hi, was die Aussprache der Gegend f��r Oheim ist. Die Barbel hatte sich erst vor kurzer Zeit nach dem D?rfli hinauf verheiratet, vorher hatte sie unten im Pr?ttigau gewohnt, und so war sie noch nicht so ganz bekannt mit allen Erlebnissen und besonderen Pers?nlichkeiten aller Zeiten vom D?rfli und der Umgegend. Die Dete, ihre gute Bekannte, war dagegen vom D?rfli geb��rtig und hatte da gelebt mit ihrer Mutter bis vor einem Jahr; da war diese gestorben, und die Dete war nach dem Bade Ragaz hin��bergezogen, wo sie im gro?en Hotel als Zimmerm?dchen einen guten Verdienst fand. Sie war auch an diesem Morgen mit dem Kinde von Ragaz hergekommen; bis Maienfeld hatte sie auf einem Heuwagen fahren k?nnen, auf dem ein Bekannter von ihr heimfuhr und sie und das Kind mitnahm. --Die Barbel wollte also diesmal die gute Gelegenheit, etwas zu vernehmen, nicht unbenutzt vorbeigehen lassen; sie fasste vertraulich die Dete am Arm und sagte: "Von dir kann man doch vernehmen, was wahr ist und was die Leute dar��ber hinaus sagen; du wei?t, denk ich, die ganze Geschichte. Sag mir jetzt ein wenig, was mit dem Alten ist und ob der immer so gef��rchtet und ein solcher Menschenhasser war."
"Ob er immer so war, kann ich, denk ich, nicht pr?zis wissen, ich bin jetzt sechsundzwanzig und er sicher siebzig Jahr alt; so hab ich ihn nicht gesehen, wie er jung war, das wirst du nicht erwarten. Wenn ich aber w��sste, dass es nachher nicht im ganzen Pr?ttigau herumk?me, so k?nnte ich dir schon allerhand erz?hlen von ihm; meine Mutter war aus dem Domleschg und er auch."
"A bah, Dete, was meinst denn?", gab die Barbel ein wenig beleidigt zur��ck; "es geht nicht so streng mit dem Schwatzen im Pr?ttigau, und dann kann ich schon etwas f��r mich behalten, wenn es sein muss. Erz?hl mir's jetzt, es muss dich nicht gereuen."
"Ja nu, so will ich, aber halt Wort!", mahnte die Dete. Erst sah sie sich aber um, ob das Kind nicht zu nah sei und alles anh?re, was sie sagen wollte; aber das Kind war gar nicht zu sehen, es musste schon seit einiger Zeit den beiden Begleiterinnen nicht mehr gefolgt sein, diese hatten es aber im Eifer der
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