Ein Landarzt

Franz Kafka
Ein Landarzt, by Franz Kafka

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Title: Ein Landarzt Kleine Erzählungen
Author: Franz Kafka
Release Date: July 3, 2007 [EBook #21989]
Language: German
Character set encoding: ISO-8859-1
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LANDARZT ***

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FRANZ KAFKA
EIN LANDARZT
KLEINE ERZÄHLUNGEN

KURT WOLFF VERLAG

Copyright 1919 by Kurt Wolff Verlag - München und Leipzig

INHALT
Der neue Advokat 1
Ein Landarzt 6
Auf der Galerie 34
Ein altes Blatt 39
Vor dem Gesetz 49
Schakale und Araber 57
Ein Besuch im Bergwerk 75
Das nächste Dorf 88
Eine kaiserliche Botschaft 90
Die Sorge des Hausvaters 95
Elf Söhne 102
Ein Brudermord 125
Ein Traum 135
Ein Bericht für eine Akademie 145

Meinem Vater

Der neue Advokat.
Wir haben einen neuen Advokaten, den Dr. Bucephalus. In seinem
Äußern erinnert wenig an die Zeit, da er noch Streitroß Alexanders von
Macedonien war. Wer allerdings mit den Umständen vertraut ist,
bemerkt einiges. Doch sah ich letzthin auf der Freitreppe selbst einen
ganz einfältigen Gerichtsdiener mit dem Fachblick des kleinen
Stammgastes der Wettrennen den Advokaten bestaunen, als dieser,
hoch die Schenkel hebend, mit auf dem Marmor aufklingendem Schritt
von Stufe zu Stufe stieg.
Im allgemeinen billigt das Barreau die Aufnahme des Bucephalus. Mit
erstaunlicher Einsicht sagt man sich, daß Bucephalus bei der heutigen
Gesellschaftsordnung in einer schwierigen Lage ist und daß er deshalb,
sowie auch wegen seiner weltgeschichtlichen Bedeutung, jedenfalls
Entgegenkommen verdient. Heute -- das kann niemand leugnen -- gibt
es keinen großen Alexander. Zu morden verstehen zwar manche; auch
an der Geschicklichkeit, mit der Lanze über den Bankettisch hinweg
den Freund zu treffen, fehlt es nicht; und vielen ist Macedonien zu eng,
so daß sie Philipp, den Vater, verfluchen -- aber niemand, niemand
kann nach Indien führen. Schon damals waren Indiens Tore
unerreichbar, aber ihre Richtung war durch das Königsschwert
bezeichnet. Heute sind die Tore ganz anderswohin und weiter und
höher vertragen; niemand zeigt die Richtung; viele halten Schwerter,
aber nur, um mit ihnen zu fuchteln; und der Blick, der ihnen folgen will,
verwirrt sich.
Vielleicht ist es deshalb wirklich das Beste, sich, wie es Bucephalus
getan hat, in die Gesetzbücher zu versenken. Frei, unbedrückt die
Seiten von den Lenden des Reiters, bei stiller Lampe, fern dem Getöse
der Alexanderschlacht, liest und wendet er die Blätter unserer alten
Bücher.

Ein Landarzt.
Ich war in großer Verlegenheit: eine dringende Reise stand mir bevor;
ein Schwerkranker wartete auf mich in einem zehn Meilen entfernten
Dorfe; starkes Schneegestöber füllte den weiten Raum zwischen mir
und ihm; einen Wagen hatte ich, leicht, großräderig, ganz wie er für
unsere Landstraßen taugt; in den Pelz gepackt, die Instrumententasche
in der Hand, stand ich reisefertig schon auf dem Hofe; aber das Pferd
fehlte, das Pferd. Mein eigenes Pferd war in der letzten Nacht, infolge
der Überanstrengung in diesem eisigen Winter, verendet; mein
Dienstmädchen lief jetzt im Dorf umher, um ein Pferd geliehen zu
bekommen; aber es war aussichtslos, ich wußte es, und immer mehr
vom Schnee überhäuft, immer unbeweglicher werdend, stand ich
zwecklos da. Am Tor erschien das Mädchen, allein, schwenkte die
Laterne; natürlich, wer leiht jetzt sein Pferd her zu solcher Fahrt? Ich
durchmaß noch einmal den Hof; ich fand keine Möglichkeit; zerstreut,
gequält stieß ich mit dem Fuß an die brüchige Tür des schon seit Jahren
unbenützten Schweinestalles. Sie öffnete sich und klappte in den
Angeln auf und zu. Wärme und Geruch wie von Pferden kam hervor.
Eine trübe Stallaterne schwankte drin an einem Seil. Ein Mann,
zusammengekauert in dem niedrigen Verschlag, zeigte sein offenes
blauäugiges Gesicht. »Soll ich anspannen?« fragte er, auf allen Vieren
hervorkriechend. Ich wußte nichts zu sagen und beugte mich nur, um
zu sehen, was es noch in dem Stalle gab. Das Dienstmädchen stand
neben mir. »Man weiß nicht, was für Dinge man im eigenen Hause
vorrätig hat,« sagte es, und wir beide lachten. »Hollah, Bruder, hollah,
Schwester!« rief der Pferdeknecht, und zwei Pferde, mächtige
flankenstarke Tiere schoben sich hintereinander, die Beine eng am Leib,
die wohlgeformten Köpfe wie Kamele senkend, nur durch die Kraft der
Wendungen ihres Rumpfes aus dem Türloch, das sie restlos ausfüllten.
Aber gleich standen sie aufrecht, hochbeinig, mit dicht ausdampfendem
Körper. »Hilf ihm,« sagte ich, und das willige Mädchen eilte, dem
Knecht das Geschirr des Wagens zu reichen. Doch kaum war es bei
ihm, umfaßt es der Knecht und schlägt sein Gesicht an ihres. Es schreit
auf und flüchtet sich zu mir; rot eingedrückt sind zwei Zahnreihen
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