Die Gründung des Deutschen Zollvereins | Page 2

Heinrich von Treitschke
der Krone Preußen
geradezu die unbeschränkte Souveränität über Danzig zu bestreiten,
und stellten so übermütige Forderungen, daß der König mit einer

entschiedenen Ablehnung antwortete, als Zar Alexander nach seiner
Gewohnheit versuchte, die Ansprüche der Polen durch einen zärtlichen
Freundesbrief zu unterstützen. Der unerquickliche Verlauf dieser
Verhandlungen zwang zu dem Entschlusse, die polnischen
Landschaften den übrigen Provinzen des Ostens völlig gleichzustellen.
Auf der anderen Seite lehrten die Frankfurter Erfahrungen, daß ein
Bundeszollgesetz ganz unmöglich war und Preußen mithin zunächst im
eigenen Hause Ordnung schaffen mußte.
Im Jahre 1816 erfolgten die ersten vorbereitenden Schritte. Das Verbot
der Geldausfuhr ward aufgehoben, das Salzregal in allen Provinzen
gleichmäßig eingeführt; dann sprach die Verordnung vom 11. Juni die
Aufhebung der Wasser-, Binnen- und Provinzialzölle als Grundsatz aus
und verhieß die Einführung eines allgemeinen und einfachen
Grenzzollsystems. Zu Anfang des folgenden Jahres war der Entwurf für
das neue Zollgesetz beendigt. Sobald aber von den reformatorischen
Absichten des Entwurfs Einiges ruchbar ward, erscholl der Notschrei
der geängstigten Produzenten weithin durch das Land.
Leidenschaftliche Eingaben der Baumwoll- und Kattunfabrikanten aus
Schlesien und Berlin, die doch allesamt unter der bestehenden
Unordnung schwer litten, bestätigten die alte Wahrheit, daß die
Selbstsucht der Menschen der schlimmste Feind ihres eigenen
Interesses ist. Der Lärm ward so bedrohlich, daß der König für nötig
hielt, zunächst eine Spezialkommission mit der Prüfung dieser
Vorstellungen zu beauftragen. Hier errang die alte friderizianische
Schule noch einmal die Oberhand. Der Vorsitzende, Oberpräsident v.
Heydebreck, betrachtete als höchste Aufgabe der Handelspolitik »das
Numeraire dem Lande zu konservieren«; die Mehrheit beschloß, der
Krone die Wiederherstellung des Verbotsystems, wie es bis zum Jahre
1806 bestanden, anzuraten. Aber zugleich mit diesem Bericht ging auch
ein geharnischtes Minderheitsgutachten ein, verfaßt von Staatsrat
Kunth, dem Erzieher der Gebrüder Humboldt, einem selbstbewußten
Vertreter des altpreußischen Beamtenstolzes, der das gute Recht der
Bureaukratie oftmals gegen die aristokratische Geringschätzung seines
Freundes Stein verteidigte. Mit den Zuständen des Fabrikwesens aus
eigener Anschauung gründlich vertraut, lebte und webte er in den
Gedanken der neuen Volkswirtschaftslehre. »Eigentum und Freiheit,

darin liegt alles; es gibt nichts anderes« -- so lautete sein Kernspruch.
Als das ärgste Gebrechen der preußischen Industrie erschien ihm die
erstaunlich mangelhafte Bildung der meisten Fabrikanten, eine
schlimme Frucht des Übergewichts der gelehrten Klassen, welche nur
durch den Einfluß des auswärtigen Wettbewerbs allmählich beseitigt
werden konnte; waren doch selbst unter den ersten Fabrikherren Berlins
viele, die kaum notdürftig ihren Namen zu schreiben vermochten.
Kunths Gutachten fand im Staatsrate fast ungeteilte Zustimmung; es
ließ sich nicht mehr verkennen, daß die Aufhebung der Handelsverbote
nur die notwendige Ergänzung der Reformen von 1808 bildete. Als das
Plenum des Staatsrats am 3. Juli über das Zollgesetz beriet, sprachen
die politischen Gegner Gneisenau und Schuckmann einmütig für die
Befreiung des Verkehrs. Oberpräsident Merckel und Geh. Rat Ferber,
ein aus dem sächsischen Dienste herübergekommener trefflicher
Nationalökonom, führten aus, daß dem Notstande des Gewerbefleißes
in Schlesien und Sachsen nur durch die Freiheit zu begegnen sei; und
zuletzt stimmten von 56 Anwesenden nur drei gegen das Gesetz:
Heydebreck, Ladenberg und Geh Rat Beguelin. Am 1. August
genehmigte der König von Karlsbad aus »das Prinzip der freien Einfuhr
für alle Zukunft«. Nun folgten neue peinliche Verhandlungen, da es
anfangs unmöglich schien, die neue Ordnung gleichzeitig in den beiden
Hälften des Staatsgebiets einzuführen. Endlich, am 26. Mai 1818, kam
das Zollgesetz für die gesamte Monarchie zustande.
Sein Verfasser war der Generaldirektor Karl Georg Maaßen(1), ein
Beamter von umfassenden Kenntnissen, mit Leib und Seele in den
Geschäften lebend, ein Mann, der hinter kindlich anspruchslosen
Umgangsformen den kühnen Mut des Reformers, eine tiefe und freie
Auffassung des sozialen Lebens verbarg. Aus Cleve gebürtig, hatte er
zuerst als preußischer Beamter in seiner Heimat, dann eine Zeitlang im
bergischen Staatsdienste die Großindustrie des Niederrheins, nachher
bei der Potsdamer Regierung die Volkswirtschaft des Nordostens
kennen und also die Theorien Adam Smiths(2), denen er von frühauf
huldigte, durch vielseitige praktische Erfahrung zu ergänzen gelernt. So
ging er auch beim Entwerfen des Zollgesetzes nicht von einer fertigen
Doktrin aus, sondern von drei Gesichtspunkten der praktischen

Staatskunst. Die Aufgabe war: zunächst in der gesamten Monarchie
durch Befreiung des inneren Verkehrs eine lebendige Gemeinschaft der
Interessen zu begründen, sodann dem Staate neue Einnahmequellen zu
eröffnen, endlich dem heimischen Gewerbefleiß einen mächtigen
Schutz gegen die englische Übermacht zu gewähren und ihm doch den
heilsamen Stachel des ausländischen Wettbewerbs nicht gänzlich zu
nehmen. Wo die Wünsche der Industrie den Ansprüchen der
Staatskassen widersprachen, da mußte das Interesse der Finanzen
vorgehen; dies gebot die Bedrängnis des Staatshaushalts.
Die beiden ersten Paragraphen des Gesetzes verkündigten die Freiheit
der Ein-, Aus- und Durchfuhr für den ganzen Umfang des Staates.
Damit wurde die volle Hälfte des nichtösterreichischen Deutschlands
zu einem freien Marktgebiete vereinigt, zu einer wirtschaftlichen
Gemeinschaft, welche, wenn sie die Probe bestand, sich auch über die
andere Hälfte der Nation erweitern konnte. Denn die schroffsten
Gegensätze unseres vielgestaltigen sozialen Lebens lagen innerhalb der
preußischen Grenzen. War
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