Die Frauenfrage | Page 4

Lily Braun
sondern ihn durch Bearbeitung zur Waffe
gestaltete. Nun wird der Verfolgte zum Verfolger. Wohl kann das Weib,
wie er, jagen und kämpfen, giebt es doch noch heute wilde
Völkerschaften, in denen die Geschlechter einander an Kraft nicht
nachstehen,[4] aber sobald sie Kinder gezeugt hat, ist sie an sie
gebunden. Dadurch entsteht zugleich die erste Arbeitsteilung; die Frau
baut das schützende Dach für sich und ihren hilflosen Säugling; in die
Felle der Tiere, die der Mann erlegt, hüllt sie instinktiv das kleine
frierende Geschöpf und gewinnt dadurch die Anregung, schließlich
auch für sich ein deckendes und wärmendes Kleidungsstück zu
schaffen. Sie muß, wenn die Nahrungsquelle in ihrer Brust versiegt,
den Hunger ihrer Kinder auf andere Weise stillen, und so lernt sie die
Mahlzeit zubereiten, indem sie nicht nur das Fleisch des Wildes, der
Fische und Vögel dazu verwendet, das ihr der Mann von seinen
Jagdzügen bringt, sie benutzt auch die Knollen, Körner und Früchte,
die sie selbst findet, und gewinnt schließlich die Fertigkeit, sie für den
Gebrauch anzupflanzen.[5]

Die Frau wurde immer seßhafter und der Mann, dessen Leben sich
zwischen Kampf und Jagd abspielte, sah ihre Hütte bald als den
Zufluchtsort an, wo er nicht nur zu flüchtiger Ruhe einkehrte und
Obdach, Nahrung und Kleidung fand, sondern wo er auch seine Beute
verwahren konnte. Noch anziehender wurde die Hütte für den Mann
und noch wichtiger die Gebundenheit der Frau, als die Menschheit das
Feuer kennen und schätzen lernte. Wahrscheinlich ist es ihr durch die
Zündkraft des Blitzes bekannt geworden, und es wurde wie ein
Heiligtum--ein echtes Geschenk des Himmels--gehütet, weil die
Fertigkeit, es selbst hervorzurufen, erst in weit späterer Zeit erworben
wurde. Die natürliche Hüterin und Bewahrerin des Feuers war die
Frau.[6] Und so war es nicht der dem Urmenschen so häufig
angedichtete Familiensinn oder die Liebe zu Weib und Kind--Gefühle,
die nur die Produkte einer höheren Kultur sein können--, welche ihn an
den häuslichen Herd immer wieder zurückzogen, sondern lediglich die
rohen, physischen Bedürfnisse.
Von einer Ehe in unserem Sinn war natürlich keine Rede; dem
regellosen Geschlechtsverkehr folgte die sogenannte
Blutgemeinschaftsfamilie, in der die einzelnen Generationen sich nicht
mehr miteinander vermischten. Bei der geringen numerischen
Ausdehnung, die die Menschheit ursprünglich gehabt haben muß, ist
zur Befriedigung des Geschlechtstriebs die Vermischung von
Blutsverwandten selbstverständlich. Ebenso selbstverständlich ist es
aber auch, daß diese Form der Familie nicht auf irgend welchen
Vorschriften beruhte, sondern sich vielmehr von selbst auflöste, sobald
sie durch ihre Größe im Bereich des mütterlichen Herdes weder Raum
noch ausreichende Nahrung fand. Die Aufgabe der
Blutgemeinschaftsfamilie und die Entstehung der
Schwägerschaftsverbände (Punaluafamilie, nach Morgan) ist nicht auf
eine höhere sittliche Erkenntnis zurückzuführen, sondern auf die
uralten Triebkräfte der Natur; Hunger und Liebe. Daraus entstand die
Sitte und aus der Sitte die Moral einer jeden Zeit.
Auch die neue Familienform kannte die Ehe nicht. Der Mann des einen
Stammes, der sich mit der Frau des anderen verband, heiratete
sozusagen alle ihre Schwestern mit; der Begriff der Keuschheit und der

ehelichen Treue war beiden Geschlechtern fremd. Infolgedessen wurde
ein väterliches Recht an den Kindern nicht geltend gemacht, sie
gehörten ausschließlich der Mutter, die sie geboren hatte, und deren
Stamm. Der Mann führte das Weib nicht wie ein persönliches
Eigentum in sein Haus, sondern er kam in das ihre. Wie wir gesehen
haben, ist dieser Rechtszustand, der zur Zeit der Blutgemeinschafts-
wie der Punaluafamilie der herrschende war, nicht auf eine hohe
moralische Wertschätzung der Frau zurückzuführen, sondern auf die
ursprüngliche Differenz der Geschlechter und auf wirtschaftliche
Ursachen, er hatte auch keine Machtstellung der Frau zur Folge,
sondern er legte vielmehr den Grund zu der feststehenden Meinung,
daß das Arbeitsgebiet der Frau allein auf das Haus zu beschränken sei.
Mit der Ausbildung des Handwerks in seinen verschiedenen Zweigen,
mit der Zunahme der Bebauung des Bodens--lauter Arbeitsarten, die im
Bereiche des ursprünglichen Hauswesens lagen und daher
hauptsächlich der Frau zufielen--, wurde die Frau dem Manne immer
unentbehrlicher. Er selbst war, je dichter sich die Erde bevölkerte,
immer mehr in Kämpfen mit den Nachbarn oder mit den
Volksstämmen, durch deren Land er als Nomade zog, verwickelt.
Zunächst waren es nur Kämpfe um die tägliche Nahrung, um die
Jagdgründe; als er es aber verstand, die Tiere nicht nur zu erlegen,
sondern zu zähmen und zu züchten, da kämpfte er für den Schutz und
um die Vergrößerung seines Besitzes. In früheren Perioden, wo er
nichts besaß, als was er täglich gebrauchte, hatte er den gefangenen
Feind entweder getötet, oder als Gleichen und Freien in seine
Blutsfreundschaft aufgenommen, jetzt, wo er mehr besaß, als er
gebrauchte, bedurfte er der Arbeitskräfte in seinem Dienst, daher
machte er den Feind zu seinem Untergebenen. So entwickelte sich im
unmittelbaren Gefolge der Entstehung des Privateigentums die
Sklaverei. Aber ehe noch der erste Sklave sich unter der Knute des
Herrn beugen mußte, war das Weib, die Mutter seiner Kinder, zur
ersten Sklavin geworden.
Die Frau war,
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