Der Schuss von der Kanzel | Page 3

Conrad Ferdinand Meyer
dem keine Ader eines kirchlichen Verfolgers war.
"Durchaus nicht. Nur mu?te er die ganze gro?e Rechnung auf einmal bezahlen. Auf seinem ganzen Lebenswege, von Jugend an hat er blasphemiert, und das wurde dann so gesammelt, das summierte sich dann so. Als er endlich in unserm letzten B��rgerkriege Rapperswyl vergeblich belagerte, ohne Menschenleben zu schonen, was die erste Pflicht eines republikanischen Heerf��hrers ist, erbitterte er die ?ffentliche Meinung gegen sich, und wir durften ihm an den Kragen. Da wurde ihm eingetr?nkt, was er alles an unserer Landeskirche gefrevelt hatte. Jetzt freilich d��rfen wir dem Feldherrn der Apostolischen Majest?t weiter nichts anhaben, sonst wird er uns zum Possen noch katholisch und das zweite ?rgernis schlimmer als das erste. Man erz?hlt sich, er tafle in Wien mit Jesuiten und Kapuzinern.--Wir geistlichen Leute sind eben, so oder so betitelt und verkleidet, in der Welt nicht zu entbehren!"
Der ��tikoner belachte seinen Scherz und blieb stehen. "Hier ist die Grenze meines Weinbergs", sagte er. Mit diesem Ausdrucke bezeichnete er seine Gemeinde. "Willst du nach dem Erz?hlten noch hin��ber zum Generale? Pfannenstiel, begehst du die Torheit?"
"Ich will es ein bi?chen mit der Torheit versuchen, die Weisheit hat mir bis jetzt nur herbe Fr��chte gezeitigt", erwiderte Pfannenstiel sanftm��tig und schied von seinem gestrengen Kollegen.

Zweites Kapitel
Wenig sp?ter sa? der verliebte und verzweifelnde Kandidat auf dem Querbrette eines langen und schmalen Nachens, den der junge Schiffmann Bl?uling mitten ��ber die Seebreite mit kaum aus dem Wasser gehobenem Ruder der Au zulenkte.
Schon warf das schweigsame Eichendunkel seine schwarzen Abendschatten weit auf die schauernden Gew?sser hinaus. Bl?uling, ein ernsthafter, verschlossener Mensch mit regelm??igen Gesichtsz��gen, tat den Mund nicht auf. Sein Nachen scho? gleichm??ig und kr?ftig, wie ein selbst?ndiges Wesen durch die unruhige Flut. Auf und nieder war der ganze See mit gew?lbten Segeln bev?lkert; denn es war Sonnabend und die Schiffe kehrten von dem gestrigen st?dtischen Wochenmarkte heim. Drei Segel flogen heran, die eine Figur mit sich verschiebenden Endpunkten bildeten, und schlossen das Schifflein des Kandidaten in ihre Linien ein. "Nehmt mich mit in die weite Freiheit!" flehte er sie unbewu?t an, aber sie entlie?en ihn wieder aus ihrem wandernden Netze.
Unterdessen n?herte sich zusehends das Landhaus des Generals und entwickelte seine Fassade. Der fest, aber leicht aufstrebende Bau hatte nichts zu tun mit den landes��blichen Hochgiebeln, und es war, als h?tte er bei seiner Eigenart die Einsamkeit absichtlich aufgesucht.
"Dort ist das K?mmerlein der T��rkin", lie? sich jetzt der schweigsame Bl?uling vernehmen, indem seine Rechte das Ruder fahren lie? und nach der S��decke des Hauses zeigte. "Der T��rkin?" Der ganze Kandidat wurde zu einem bedenklichen Fragezeichen.
"Nun ja, der T��rkin des Wertm��llers; er hat sie aus dem Morgenlande heimgebracht, wo er f��r den Venezianer Krieg f��hrte. Ich habe sie schon oft gesehen, ein h��bsches Weibsbild mit goldenem Kopfputze und langen, offenen Haaren; gew?hnlich wenn ich vor��berfahre, legt sie die Finger an den Mund, als pfiffe sie einem Mannsvolk; aber gegenw?rtig liegt sie nicht im Fenster."
Ein langgezogener Ruf schnitt durch die L��fte, gerade ��ber die Barke hin: "Sweine-und!" scholl es vernehmlich vom Ufer her.
Der aufgebrachte Bl?uling schlug sein Ruder ins Wasser, da? zischend und spritzend ein breiter Strahl an der Seite des Fahrzeuges emporscho?.
"So wird man", z��rnte er, "seit den paar Tagen, da? der Wertm��ller wieder hier ist, ��berall auf dem See mit Namen gerufen. Es ist der verreckte Schwarze, der mit dem Sprachrohre des Generals rumort und spektakelt. Vergangenen Sonntag im L?wen zu Meilen schenkten sie ihm ein und soffen ihn unter den Tisch. Dann brachten sie ihn nachts in meinem Schiffe dem Wertm��ller zur��ck. Nun schimpft der Kaminfeger durch das Rohr nach Meilen hin��ber, aber morgen, beim Eid, sitzt er wieder unter uns im L?wen.--Nun frage ich: woher hat der Mohr das fremde Wort? Hier sagt man sich auch w��st, aber nicht so."
"Der General wird ihn so schelten", bemerkte Pfannenstiel kleinlaut.
"So ist es, Herr", stimmte der Bursche ein. "Der Wertm��ller bringt die hochdeutschen, fremdl?ndischen W?rter ins Land, der Staatsverr?ter! Aber ich lasse mir auf dem See nicht so sagen, beim Eid nicht."
Bl?uling wandte ohne weiteres seine Barke und gewann mit eiligen, kr?ftigen Ruderz��gen wieder die Seemitte.
"Was ficht Euch an, guter Freund? Ich beschw?re Euch", eiferte Pfannenstiel. "Hin��ber mu? ich! Nehmt doppelte L?hnung!"
Doch das Silber verlor seine Kraft gegen die patriotische Entr��stung, und der Kandidat mu?te sich auf das Bitten und Flehen legen. Mit M��he erlangte er von dem beleidigten Bl?uling, da? ihn dieser, "weil Ihr es seid", sagte der Bursche, au?erhalb der Tragweite des Sprachrohres um die ganze Halbinsel herum in ihre s��dliche Bucht bef?rderte. Dort lie? er den Kandidaten ans Ufer steigen und ruderte nach wenigen Minuten den sich rasch verkleinernden Nachen wieder mitten in der Bl?ue.

Drittes Kapitel
So wurde Pfannenstiel wie ein Ge?chteter unter den Eichen der Halbinsel ausgesetzt. Ein enger Pfad vertiefte sich in das Halbdunkel, und er z?gerte nicht, ihn zu betreten. Mit Diebesschritten eilte er durch das unter seinen Sohlen
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