Charles Fourier | Page 2

August Bebel
die
Männer der neuen Zeit mit ihren alles Alte angreifenden und
erschütternden Ideen vielfach gerade dort einen bereiten Boden fanden,
wo man ihn am wenigsten hätte erwarten sollen. Aber es hatte sich
auch des Bürgerthums ein Drang nach Wissen und Bildung, nach
politischen Rechten, ein Geist der Unzufriedenheit über das Bestehende
bemächtigt, wodurch die Bewegung schließlich zum Alles
niederreißenden Strom anschwoll.
Das Bürgerthum, politisch so gut wie rechtlos und machtlos, die
Vertretung seiner Magistrate in den alten ständischen Parlamenten
mißachtet, mit Abgaben unangenehmster Art beschwert, durch Zunft-,
Bann- und Höferechte in seiner materiellen Entwicklung behindert, von
Adel und Geistlichkeit geringschätzig und verächtlich behandelt, aller
persönlichen Rechte und der Garantien persönlicher Freiheit beraubt,
sehend, wie die ungerecht vertheilten und gewaltsam beigetriebenen
Steuern und Abgaben von einem in der Liederlichkeit verfaulenden Hof
verschlemmt und verpraßt wurden, erfaßte mit Gier die neuen Ideen,
welche die Rechtmäßigkeit der feudalen Vorrechte angriffen, die
religiösen Vorurtheile, unter deren Druck es litt, in Zweifel zogen, die
allgemeine Freiheit und Rechtsgleichheit lehrten. Der neue Staat und
die neue Gesellschaft wurden in den verführerischsten Farben
dargestellt, politische Macht, Reichthum, geistige Freiheit und
Gleichheit Allen in Aussicht gestellt.

Wenn in einem Gesellschaftszustand die Dinge sich einmal so weit
entwickelten, daß ein großer Theil der Betheiligten und Interessirten
von Unzufriedenheit und Mißstimmung gegen das Bestehende und von
Sehnsucht nach besseren Zuständen erfüllt ist, so wird der alte Zustand
sich auf die Dauer nicht halten können, was immer für Mittel und
Praktiken in Anwendung kommen, ihn zu erhalten und zu stützen. Mag
die Sehnsucht der Masse nach Veränderung des Bestehenden, nach
Umgestaltung ihrer Lage zunächst nur eine Sache des Gefühls sein, das
aber in dem thatsächlichen Zustand der Verhältnisse seine Begründung
und seine Berechtigung findet. Mag diese Masse sich über den Weg
wie über die Mittel, durch die ihr geholfen werden könnte, noch so
unklar sein, der Moment kommt, wo sie mit elementarer Macht,
instinktiv stets richtig, nach dem bestimmten Ziele drängt und die
bewußten und wissenden Geister zwingt, sich zu ihrem Organ, zu
ihrem Mundstück und zu ihren Werkzeugen aufzuwerfen, um die
Bewegung zum richtigen und nach Lage der Verhältnisse möglichen
Ziele zu leiten. Die Führer sind unter solchen Umständen stets
Werkzeuge, nicht Macher, und sie werden bei Seite geworfen, sobald
sie sich zu Machern aufwerfen, die Bewegung für sich und nach
eigenem Gutdünken, statt im Interesse der Betheiligten zu benutzen
suchen. Die rasche Abwirthschaftung der Führer in akut gewordenen
Volksbewegungen hat in diesem Geheimniß ihren Grund, sie wollen
Allesmacher sein, wo sie nur Werkzeuge sein sollen und können. Da
man sich hüben wie drüben dieses Verhältnisses selten bewußt ist,
schreien die Einen über Verrath, die Andern über Undankbarkeit der
Masse; das Erstere ist selten wahr, das Letztere zu behaupten stets eine
Narrheit, ein Verlangen, das nur Diejenigen stellen können, die sich
über die Natur ihrer Stellung nie klar waren, Schieber zu sein glaubten,
wo sie nur Geschobene sein konnten.
Jeder großen Umgestaltung in der Gesellschaft geht zunächst eine
Periode der Gährung voraus, eine Periode, die, je nach dem Stande der
allgemeinen Bildung und Kultur, nach dem Gewicht der betheiligten
Klassen und nach der Kraft und der Macht der widerstrebenden
Gewalten, bald längere, bald kürzere Zeit dauert, ehe die Bewegung
zum offenen Ausbruch kommt und ihr Ziel in irgend einer Form, das
wieder von dem mathematischen Kraftverhältniß der gegeneinander

wirkenden Faktoren abhängt, erreicht. Geht eine Bewegung über ihr
Ziel hinaus, d.h. erreicht sie mehr, als sie, in sich selbst zur Ruhe
gekommen, im Interesse der nun in der Macht befindlichen Gewalten,
die nunmehr den Schwerpunkt bilden, um den Alles gravitirt, erreichen
soll und, setzen wir hinzu, erreichen darf, so folgen die Rückschläge.
Mit andern Worten, eine ihrem inneren Wesen nach selbst wieder auf
Klassenherrschaft abzielende Bewegung darf nicht weiter gehen, als sie
die Unterstützung der maßgebenden Interessirten findet.
Scheinbar ist bis jetzt jeder Revolution eine Reaktion gefolgt, in
Wahrheit wurde die Bewegung stets auf ihren natürlichen Schwer- und
Ruhepunkt zurückgeführt, weil sie darüber hinaus ging. Dieser Zustand
ist aber stets, auch wenn er durch eine gegen die weiter vorwärts
drängenden Elemente gerichtete gewaltsame Reaktion herbeigeführt
wurde, dem Zustande, der vor der Bewegung bestand, weit voraus.
Man hört z.B. so häufig die Bemerkung machen, daß die bürgerliche
Revolution der Jahre 1848 und 1849 in Deutschland an der Macht der
Reaktion gescheitert sei. Das ist einfach nicht wahr. Die Bewegung hat
erreicht, was sie nach ihrem wahren innern Gehalt erreichen konnte.
Revolution und Reaktion rangen so lange mit einander, bis sie auf dem
Punkt ankamen, auf dem sie sich zu verständigen vermochten. Die
Grenze war, wo die Lebensfähigkeit des Alten aufhörte und die
Lebensmacht des Neuen begann. Von vornherein war ein großer Theil
der anfangs revolutionären Kräfte, die das behäbige Bürgerthum
umfaßten, entschlossen, über eine gewisse Grenze nicht hinaus zu
gehen. An diesem Punkt angekommen, trennten sich diese Kräfte von
den weiter drängenden Elementen. Dadurch
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