Belagerung von Mainz

Johann Wolfgang von Goethe
von Mainz, by Johann Wolfgang
von Goethe

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Title: Belagerung von Mainz
Author: Johann Wolfgang von Goethe
Release Date: February 1, 2006 [EBook #17657]
Language: German
Character set encoding: ISO-8859-1
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BELAGERUNG VON MAINZ ***

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Belagerung von Mainz
Goethe

Montag den 26. Mai 1793 von Frankfurt nach Höchst und Flörsheim;
hier stand viel Belagerungsgeschütz. Der alte freie Weg nach Mainz
war gesperrt, ich mußte über die Schiffbrücke bei Rüsselsheim; in
Ginsheim ward gefüttert; der Ort ist sehr zerschossen; dann über die
Schiffbrücke auf die Nonnenaue, wo viele Bäume niedergehauen lagen,
sofort auf dem zweiten Teil der Schiffbrücke über den größern Arm des
Rheins. Ferner auf Bodenheim und Oberulm, wo ich mich
kantonierungsmäßig einrichtete und sogleich mit Hauptmann Vent
nach dem rechten Flügel über Hechtsheim ritt, mir die Lage besah von
Mainz, Kastel, Kostheim, Hochheim, Weißenau, der Mainspitze und
den Rheininseln. Die Franzosen hatten sich der einen bemächtigt und
sich dort eingegraben; ich schlief nachts in Oberulm.
Dienstag den 27. Mai eilte ich, meinen Fürsten im Lager bei
Marienborn zu verehren, wobei mir das Glück ward, dem Prinzen
Maximilian von Zweibrücken, meinem immer gnädigen Herrn,
aufzuwarten; vertauschte dann sogleich gegen ein geräumiges Zelt in
der Fronte des Regiments mein leidiges Kantonierungsquartier. Nun
wollt' ich auch die Mitte des Blockadehalbkreises kennen lernen, ritt
auf die Schanze vor dem Chausseehaus, übersah die Lage der Stadt, die
neue französische Schanze bei Zahlbach und das
merkwürdig-gefährliche Verhältnis des Dorfes Bretzenheim. Dann zog
ich mich gegen das Regiment zurück und war bemüht, einige genaue
Umrisse aufs Papier zu bringen, um mir die Bezüge und die Distanzen
der landschaftlichen Gegenstände desto besser zu imprimieren.
Ich wartete dem General Grafen Kalckreuth in Marienborn auf, und
war abends bei demselben; da denn viel über eine Märe gesprochen
wurde, daß in dem Lager der anderen Seite vergangene Nacht der Lärm
entstanden, als sei ein deutscher General zu den Franzosen
übergegangen, worüber sogar das Feldgeschrei verändert worden und
einige Bataillons ins Gewehr getreten.
Ferner unterhielt man sich über das Detail der Lage überhaupt, über
Blockade und künftige Belagerung. Viel ward gesprochen über
Persönlichkeiten und deren Verhältnisse, die gar mancherlei wirken,
ohne daß sie zur Sprache kommen. Man zeigte daraus, wie

unzuverlässig die Geschichte sei, weil kein Mensch eigentlich wisse,
warum oder woher dieses und jenes geschehe.
Mittwoch den 28. Mai bei Obrist von Stein auf dem Forsthause, das
äußerst schön liegt; ein höchst angenehmer Aufenthalt! Man fühlte,
welch eine behagliche Stelle es gewesen, Landjägermeister eines
Kurfürsten von Mainz zu sein. Von da übersieht man den großen
landschaftlichen Kessel, der sich bis Hochheim hinüber erstreckt, wo in
der Urzeit Rhein und Main sich wirbelnd drehten und restagnierend die
besten Äcker vorbereiteten, ehe sie bei Bieberich westwärts zu fließen
völlige Freiheit fanden.
Ich speiste im Hauptquartier; der Rückzug aus der Champagne ward
besprochen; Graf Kalckreuth ließ seiner Laune gegen die Theoristen
freien Lauf.
Nach der Tafel ward ein Geistlicher hereingebracht, als revolutionärer
Gesinnungen verdächtig. Eigentlich war er toll, oder wollte so scheinen;
er glaubte Turenne und Conde gewesen, und nie von einem Weibe
geboren zu sein; durch das Wort werde alles gemacht! Er war guter
Dinge und zeigte in seiner Tollheit viel Konsequenz und Gegenwart
des Geistes.
Ich suchte mir die Erlaubnis, Lieutenant von Itzenplitz zu besuchen,
welcher am 9. Mai in einer Affäre vor Mainz mit Schuß und Schub
verwundet und endlich gefangen genommen worden. Feindlicherseits
betrug man sich auf das schonendste gegen ihn und gab ihn bald wieder
heraus. Reden durft' er noch nicht, doch erfreute ihn die Gegenwart
eines alten Kriegskameraden, der manches zu erzählen wußte.
Gegen Abend fanden sich die Offiziere des Regiments beim
Marketender, wo es etwas mutiger herging als vorm Jahr in der
Champagne: denn wir tranken den dortigen schäumenden Wein, und
zwar im Trocknen beim schönsten Wetter. Meiner vormaligen
Weissagung ward auch gedacht; sie wiederholten meine Worte: "Von
hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr
könnt sagen, ihr seid dabei gewesen."

Wunderbar genug sah man diese Prophezeiung nicht etwa nur dem
allgemeinen Sinn, sondern dem besondern Buchstaben nach genau
erfüllt, indem die Franzosen ihren Kalender von diesen Tagen an
datierten.
Wie aber der Mensch überhaupt ist, besonders aber im Kriege, daß er
sich das Unvermeidliche gefallen läßt und die Intervalle zwischen
Gefahr, Not und Verdruß mit Vergnügen und Lustbarkeit auszufüllen
sucht: so ging es auch hier; die Hautboisten von Thadden spielten ca ira
und den Marseiller Marsch, wobei eine Flasche Champagner nach der
andern geleert wurde.
Abends 8
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